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Immer mehr Mitarbeiter leiden unter physischer und psychischer Überbelastung. Ignorieren ist der falsche Weg – wer als Unternehmer nicht gegensteuert, schadet der betrieblichen Produktivität.
Die Fakten sind nicht wegzudiskutieren: Der Anteil der Menschen, die aufgrund seelischer Leiden frühzeitig in Rente gehen, ist von 15,4 Prozent im Jahr 1993 auf 42 Prozent im Jahr 2012 angestiegen. Psychische Erkrankungen sind inzwischen die Hauptursache für Frühverrentungen, stellt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) fest. Und nicht nur für Frühverrentungen. Auch die Anzahl der Arbeitstage, die aufgrund psychischer Erkrankungen ausgefallen sind, hat sich im letzten Jahrzehnt nahezu verdoppelt. Im Jahr 2001 lag sie bei 33,6 Millionen, im Jahr 2012 bereits bei 59,5 Millionen.
Mehr Erkrankungen
Ein Alarmzeichen für alle Unternehmen: „Natürlich lassen sich psychische Erkrankungen nicht generell, aber in immer stärkerem Ausmaß auf die Belastungen der modernen Arbeitswelt zurückführen“, konstatiert Patrick Link, Leiter des Instituts für Mensch und Management in München. Als eines von vielen Beispielen verweist der studierte Psychologe und Stresstrainer auf die Praxis der Leiharbeit und der Zeitverträge. „Gerade Menschen, die sich von Befristung zu Befristung hangeln müssen, stehen unter besonderem Leistungsdruck und neigen zu Existenzängsten“, beobachtet Link.An den bestehenden Regelungen zu Zeitarbeitsverträgen will Andrea Nahles (vorerst) nicht rütteln. Allerdings plant die Bundesarbeitsministerin, generell gegen psychische Belastungsfaktoren in der Arbeitswelt vorzugehen. Zunächst ist dabei Grundlagenarbeit angesagt: Auf einer Veranstaltung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und des Deutschen Gewerkschaftsbundes stellte Nahles ein Forschungsprojekt zur psychischen Gesundheit vor. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin soll eine systematische Übersicht über psychische Belastungsfaktoren in der Arbeitswelt erstellen. Zugleich soll sie konkrete Handlungsempfehlungen für die Bereiche Arbeitsschutz, betriebliche Gesundheitsförderung und betriebliche Mitbestimmung liefern. Auf Basis dieser Erkenntnisse will Nahles dann über weitere Maßnahmen entscheiden. Zu vermuten ist, dass die BAuA-Studie tendenziell bestätigen wird, was deutsche Arbeitnehmer schon heute zu Protokoll geben. Im Schnitt knapp die Hälfte der Mitarbeiter sagen, dass Stress und fachliche Anforderungen in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben. Über 50 Prozent beklagen starken Termin- und Leistungsdruck sowie die Vorgabe, mehrere Projekte gleichzeitig betreuen zu müssen (siehe Charts).
Gegen Informationsflut
Neben der reinen Arbeitsbelastung allerdings können eine Vielzahl weiterer Faktoren die Rolle des Stress-Auslösers einnehmen – etwa Dauer-Konflikte mit dem Chef oder mit bestimmten Kollegen, Ärger mit Kunden, aber auch Umweltbelastungen wie Lärm am Arbeitsplatz. Schon normaler Bürolärm kann die Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern um fünf bis zehn Prozent vermindern. „Ich halte die Höhe des Schadens und den Grad der Belästigung durch Lärm für unterschätzt", sagt der Mediziner und Psychologe Markus Meis, der für das Hörzentrum der Universität Oldenburg forscht. Hinzu kommt, als Phänomen des digitalen Zeitalters, die Informationsüberlastung und die ständige Erreichbarkeit. Täglich werden per Mail und SMS eine Flut an Nachrichten angespült, auch sonntags und am Urlaubsstrand Anfragen beantwortet und Telefonate geführt. Jederzeit droht Kommunikationsstress. Konzerne wie Telekom oder BMW, aber auch etliche Mittelständler gehen inzwischen dazu über, solche Usancen einzuschränken oder sogar zu verbieten. Als Zwischenfazit bleibt: Stress-Auslöser sind vielfältig, Stress-Prävention muss folglich immer an den konkreten Ursachen, an den spezifischen betrieblichen Verhältnissen, an der Belastbarkeit und am individuellen Belastungsempfinden des einzelnen Mitarbeiters ansetzen. „Führungskräfte müssen feine Antennen dafür entwickeln, wann und wodurch ihre Mitarbeiter gestresst werden“, erklärt Patrick Link. Insgesamt empfiehlt der Experte, dem Thema generell mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Hilfestellung vor Ort
Das Handelsunternehmen dm-Drogeriemarkt hat in dieser Hinsicht keinen Nachholbedarf. „Wenn es keine Menschen gäbe, gäbe es keine Wirtschaft – folglich ist die Wirtschaft für den Menschen da und nicht umgekehrt“, sagt Prof. Götz W. Werner, Firmengründer und Aufsichtsrat. An diesem Leitgedanken orientiert sich das Unternehmen, entsprechend ausgeprägt ist das Engagement für die Gesundheit und die sozialen Belange der Beschäftigten. „Wir wollen Mitarbeiterverantwortliche bestmöglich bei der Wahrnehmung ihrer Fürsorgepflichten unterstützen und jedem Mitarbeiter unbürokratisch und schnell bei der Bewältigung individueller Problemstellungen helfen“, erklärt Sonja Zitzmann, Bereichsverantwortliche Gesundheits- und Sozialmanagement bei dm. Dazu gehören bei dm einerseits vielfältige zentrale und regionale Seminarangebote. Andererseits hat dm ein Projektteam von sechs Sozialpädagogen gebildet, die vor Ort in die Märkte gehen. Sie beraten und helfen unter anderem in Konfliktsituationen, bei Gesundheits- oder Suchtfragen, auch bei Problemen im privaten Umfeld. „Stress- und Belastungsreaktionen können vielfältige Ursachen haben. Wir versuchen, den Kolleginnen und Kollegen in individuellen, neutralen und selbstverständlich streng vertraulichen Gesprächen Wege aufzuzeigen und konkrete Hilfestellungen zu geben, um mit solchen Situationen fertig zu werden“, erklärt Sonja Zitzmann (siehe Interview). Auch dieses Engagement trägt dazu bei, dass dm eine Spitzenposition einnimmt. In eine breit angelegten Online-Befragung ermittelte das Magazin Focus im Januar 2014 die 800 besten Arbeitgeber aus 22 Branchen. dm wurde zum besten Arbeitgeber im Einzelhandel und auf Platz 7 im Gesamt-Ranking gewählt.