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Der Verzicht auf tierische Lebensmittel gewinnt in der Gesellschaft immer mehr an Bedeutung. Das Interesse an Alternativen wächst, der Handel arbeitet an seinem Sortiment. Doch abseits der Frische gibt es weitere attraktive Chancen, die noch nicht genutzt werden.
Veggie und vegan ist weiter auf dem Vormarsch. So ergab die Befragung «Ernährungstrends – gesund, nachhaltig und fleischlos?» der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland in Kooperation mit POSpulse im März 2022, dass sieben von zehn deutschen Verbrauchern schon mal ein vegetarisches oder veganes Ersatzprodukt gekauft haben. «Damit sind fleischlose Alternativen keine Nischenprodukte für Vegetarier oder Veganer mehr, sondern sind in der breiten Gesellschaft angekommen», so die Studienautoren.
Frische ganz oben
Nach wie vor führen laut der Studie Ersatzprodukte aus dem Frischebereich die Hitliste an. Besonders häufig werden vegetarische und vegane Alternativen für Fleisch- und Wurstwaren (76 %) sowie Milch- und Molkereiprodukte gekauft (72 %). Wobei hier etwas differenziert werden muss, da die Milchalternativen in der Regel nicht gekühlt angeboten werden, pflanzliche Joghurts und Käsealternativen hingegen schon.
Doch auch abseits der Frischetheken ist der Vegan-Trend ungebrochen, so eine Beobachtung von ProVeg und Veganz. «Beispiele sind Snacks wie Schokolade, Bonbons und Chips ebenso wie Nudeln und Sossen», sagt Virginia Cecchini Kuskow, Project Manager Food Industry & Retail bei ProVeg. Dem fügt Moriz Möller, Chief Marketing Manager bei Veganz, hinzu: «Der Markt für vegan-vegetarische Schokoladen ist beispielsweise grösser als der für vegan-vegetarischen Weichkäse.»
Macht der Gewohnheit
Warum Shopper weniger zu Veggie/Vegan-Produkten abseits der Frischetheken greifen, liegt laut Markus Kerres, Geschäftsführer von Tofutown vor allem daran, dass es ausserhalb der Kühltheken keine klaren Blockplatzierungen gibt und die Konsumenten somit keine Orientierungshilfe erhalten. «Der Handel hat noch nicht verstanden, dass die Konsumenten eine Anlaufstelle im Geschäft benötigen, eine eigene vegane Abteilung in Form eines veganen Regals. Ausserdem fehlen auf der Fläche Innovationen. In der Regel setzen die Einkäufer auf Altbewährtes, und leider fehlen oftmals auch die veganen Insights, um entsprechende Entscheidungen treffen zu können.»
Grundsätzlich besteht laut der Bio-Zentrale für vegetarische und vegane Neuprodukte eine grosse Probierbereitschaft, da die Verbraucher den innovativen Produkten offen gegenüberstehen würden. Wie Tofutown sieht aber auch die Bio-Zentrale die Notwendigkeit eines eigenen Regalbereiches für vegetarische beziehungsweise vegane Produkte. «Während es im Kühlregal mittlerweile eigene Bereiche gibt, wird die Regal-Zugehörigkeit im ungekühlten Bereich, zum Beispiel von pflanzlichen Alternativen von Wurst, Sossen oder Aufstrichen, im Handel jedoch bislang noch nicht klar genug kommuniziert», so Dennis Lange, Marketingleiter bei der Bio-Zentrale.
Ein Muss – Zweitplatzierungen
Um auf Ersatzprodukte am POS aufmerksam zu machen, sind daher Themen- und Zweitplatzierungen empfehlenswert, darin sind sich die Hersteller einig. Zweitplatzierungen von etwa Fleischalternativen – gekühlt oder ungekühlt – zum Beispiel in der Nähe der Wurst-/Fleischtheke, beim SB-Fleisch oder bei den Eiern erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Shopper spontan für die Veggie-Variante entscheiden, anstatt das Rinder-Burger-Patty in den Einkaufswagen zu legen. Davon ist Nick Helleberg, Chief Commercial Officer bei Greenforce, überzeugt. «Auch Displays mit Fokus auf Bio und/oder vegan haben für den POS grosse Relevanz, denn diese Themen sind starke Kaufargumente», so Sandra Spremberg, Marketing Director DACH bei Allos. Darüber hinaus liegt die Herausforderung für den Hanel darin, im Regal den richtigen Platz zu finden. Wo sucht der Kunde das Produkt? Viele Händler haben spezielle Regale für Veggie-Produkte, in diesen Fällen ist die Platzierung natürlich intuitiv. «Ein Flexitarier wird aber nur selten in diesem Regal suchen, daher kommt wieder die Zweitplatzierung ins Spiel. Der Idealfall ist eine Regalplatzierung Frische und Trocken sowie eine aufmerksamkeitsstarke Zweitplatzierung bei hohem Wiedererkennungswert der Marke», informiert Helleberg.
Fokussierte Positionierung
Das Beispiel Milchalternativen zeige laut ProVeg, dass ungekühlte pflanzliche Alternativen durchaus sehr erfolgreich sein können. «Es hilft jedoch, wenn sie an etablierte Gewohnheiten andocken können – in diesem Fall kannten die Verbraucher bereits die ungekühlte H-Milch», sagt Cecchini Kuskow. Hersteller wie Einzelhändler würden zudem grossen Erfolg mit der Positionierung pflanzlicher Alternativen neben tierischen Pendants verzeichnen. Dieses Vorgehen ließe sich auch für ungekühlte Ei-Alternativen testen, so eine Empfehlung von ProVeg.
Da die Klimakrise in allen Altersgruppen ein zentraler Anstoss ist, den tierischen Konsum zu senken, könnten Hersteller die relative Klimafreundlichkeit ungekühlter Produkte hervorheben. Sie könnten darüber hinaus herausstellen, welche CO2-Einsparungen ein Kühlverzicht mit sich bringt, und darauf aufmerksam machen, dass einige gekühlte Produkte gar keiner Kühlung bedürfen.
Generell gilt für pflanzliche Produkte: Der Fokus der Kommunikation sollte auf dem Geschmackserlebnis liegen sowie Vorteile für Gesundheit und Umwelt und eine regionale oder lokale Produktherkunft hervorheben. Zusätzlich empfiehlt sich eine Kennzeichnung als vegan, zum Beispiel mit dem V-Label. Einige Supermarktketten gehen dabei beispielhaft voran und kennzeichnen ausserdem das Preisschild.
Impulse der Kaufentscheidung
Wenn es um die Kaufentscheidung geht, haben die Studienautoren folgendes festgestellt: Die Verbraucher vergleichen bewusst die Produkte verschiedener Marken (54 %) und lassen sich dabei vom Sortiment der Lebensmitteleinzelhändler leiten (48 %). Das Angebot am POS spielt somit eine zentrale Rolle und hat eine starke Impulswirkung, wie die Studie zeigt.
Allerdings weist nach Auffassung von Timo Franke das Angebot noch Lücken auf: «Das Angebot ist okay, es könnte allerdings grösser sein und qualitativ teilweise besser. Viele Produkte sind noch nicht ausgereift genug». Er weiß wovon er spricht. Der Vegan-Star-Koch lebt seit zehn Jahren vegan, ist bekannt aus der Lidl-Kampagne «Vemondo» mit Schauspieler Ralf Möller und hat 2020 das Unternehmen «Vegan United» gegründet, eine Agentur für vegane Produktentwicklung und Content-Produktion.
Product Scouting sei hierbei ein relevantes Instrument, um den Lebensmitteleinzelhandel gezielt auf vegane Neuheiten aufmerksam zu machen. Oftmals würden vegane Produkte nicht in die Regale finden, weil das Potenzial vom Handel nicht erkannt wird. Damit würden attraktive Chancen nicht genutzt. «Wir wollen zeigen, wie reichhaltig und vielfältig das vegane Leben ist. Deswegen haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, vegane Start-ups und Unternehmen dabei zu unterstützen sichtbarer und bekannter zu werden», so Franke. Das Ziel ist es hierbei, Marken und Produkte zielgruppengerecht in Szene zu setzen.
«Wir sind getrieben davon, Geschmack erlebbar zu machen», so beschreibt Franke seine Passion. Doch diesen vermisst er sowohl im Käsesegment als auch im Bereich Speiseeis und Patisserie. Hier mangele es noch an Alternativen. Indessen gehört für ihn Grundprodukte wie vegane Milchalternativen und Fleischersatzprodukte zum Pflichtprogramm eines jeden Händlers. «Damit macht man es den Shoppern, die weniger Fleisch essen möchten, einfach leichter Alternativen zu kaufen.» Auch vegane Artikel wie Tiefkühlpizza und Snacks sind ein Muss im Regal. Es gibt aber auch Konzepte, in denen er attraktives Potenzial für den LEH sieht. «Was ich bei den Frischprodukten ein bisschen vermisse, sind vegane Salatdressings, vegane Majo sowie vegane Sossen. Alles, was dann darüber hinausgeht, ist Kür», so das Fazit von Vegan-Star-Koch Timo Franke.
Enormes Marktwachstum
«Wie sich vertraute konventionelle Marken und auf Ersatzprodukte spezialisierte Marken den Markt künftig aufteilen werden, ist noch nicht deutlich abzusehen», so die Studie. Auf Basis der Befragungsergebnisse zum Kaufverhalten und der Analysen prognostizieren die Studienautoren ein Wachstum des deutschen Marktes für vegetarische und vegane Ersatzprodukte auf rund zehn Milliarden Euro bis 2030, also ein durchschnittliches jährliches Wachstum von fast 18 Prozent. «Damit ist das Wachstum fast viermal so hoch wie das des deutschen Lebensmitteleinzelhandels in den letzten fünf Jahren (2016−2021)», so die Studienautoren.
Aussergewöhnlich & vielfältig
Timo Franke lernte sein Handwerk in Sternehäusern wie der Traube Tonbach in Baiersbronn und dem Adlon in Berlin. Seit 2012 lebt er vegan. Seine grösste Motivation vegan zu leben, ist seine Gesundheit – und seine grösste Passion ist es, zu zeigen, dass die vegane Küche aussergewöhnlich und vielfältig sein kann.
Herr Franke, wie sind Sie zum Veganer geworden?
Timo Franke: Mit 15 Jahren begann ich eine Ausbildung zum Koch. Ich durchlief Sternehäuser wie die Traube Tonbach in Baiersbronn und das Adlon in Berlin sowie weitere Highclass-Hotels. Ich arbeitete wie ein Verrückter und ass sehr ungesund. Als ich schliesslich mit 25 Jahren ein Gewicht von 160 Kilogramm erreicht hatte, versagte mein Herz-Kreislauf-System. Das war für mich allerhöchste Alarmstufe, meine Ernährungsweise zu ändern. Ich entschied mich, mich fortan vegan zu ernähren und zu kochen. Die grösste Motivation dabei ist meine Gesundheit und meine grosse Tierliebe. Das lebe ich schon seit zehn Jahren.
Bedeutet vegan zu kochen Verzicht?
Timo Franke: Vegan zu kochen und zu essen bedeutet kein Verzicht, sondern ist eine Bereicherung. Bei der Zubereitung von Fleisch ist man relativ eingeschränkt. Hier gibt es nicht diesen Reichtum an Produkten, den die Natur an Obst und Gemüse hergibt. Die Variationen sind hier schier unendlich. Und eine Küche ohne tierische Lebensmittel muss nicht bedeuten, auf deftige und anspruchsvolle Gerichte zu verzichten. Das beweist auch mein neuestes Buch «Rustikal – Radikal».
Sie haben daher 2020 Ihr Unternehmen Vegan United gegründet?
Timo Franke: Ja richtig. Wir wollen zeigen, wie reichhaltig und vielfältig das vegane Leben ist. Deswegen haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, vegane Start-ups und Unternehmen dabei zu unterstützen, sichtbarer und bekannter zu werden. Unser Ziel ist es hierbei, die Marken und Produkte zielgruppengerecht in Szene zu setzen. Wir sind getrieben davon, Geschmack erlebbar zu machen.
Sehen Sie im Angebot am POS noch Lücken?
Timo Franke: Ja, gerade im Käsesegment sehe ich noch Bedarf sowie im Bereich Speiseeis und Patisserie. Bei Letzterem ist die Herstellung sehr teuer, da hier die Zutaten neu erfunden werden müssen. Neben den Produkten sollte auch an den Preisen geschraubt werden, damit diese Mainstream-tauglicher werden und mit den herkömmlichen Produkten preislich gleich liegen.
Welche veganen Produkte gehören unbedingt in die Regale des Handels?
Timo Franke: Zum Pflichtprogramm sollten vegane Milchalternativen und Fleischersatzprodukte gehören. Damit macht man es den Shoppern, die weniger Fleisch essen möchten, leichter, Alternativen zu kaufen. Was ebenfalls zur Pflicht gehört, sind TK-Pizza und Snacks. Was ich hingegen bei den Frischprodukten ein bisschen vermisse, sind vegane Salatdressings, vegane Majo sowie vegane Sossen. Alles, was dann darüber hinausgeht, ist Kür.
Was sollte der Handel für einen erfolgreichen Verkauf von veganen Produkten am POS tun?
Timo Franke: Zum einen sollten vegane Produkte nicht als etwas Spezielles behandelt werden. Wichtig ist, dass der Handel hier verdeutlicht, warum es wichtig ist, den Konsum von tierischen Produkten zu drosseln. Zum anderen sollte er bei Innovationen schneller reagieren. Das ist immer das grosse Problem, dass bei Innovation zu langsam reagiert wird. Wenn sich ein Food-Trend herauskristallisiert, dann müssen Strukturen schnell aufgestellt werden.
Steckbrief
Timo Franke ist Jahrgang 1987 und im Schwarzwald geboren. Er erlernte sein Handwerk in verschiedenen Sternehäusern. Bis März 2020 war er Küchenchef im Naturhotel Lechlife in Tirol. Neben Kochshows, Kursen und Schulungen bietet er Gourmet-Coachings für Hotels, Restaurants, Kantinen oder Mensen in Universitäten an. Seit April 2020 ist er Co-CEO von VEGAN.UNITED – einer Agentur für vegane Produktentwicklung und Content-Produktion.