Foto: Stefanie Brückner
So lautete der Titel des 42. Unternehmer-gesprächs Kronberg von GfK Consumer Panels & Services. Im Fokus stand dabei eine Analyse des gesellschaftlichen Wandels und die Situation der Shopper im Kontext multipler Krisen. Das Markant Magazin ONE hat mit Dr. Robert Kecskes, Global Insights Director bei der GfK, über die zentralen Ergebnisse der Studien und die Herausforderungen für den Handel gesprochen.
Shopper zwischen Melancholie und Rebellion – in dem Kontext sprechen Sie auch von einem wütenden Pragmatismus. Können Sie das konkretisieren?
Dr. Robert Kecskes: Das ist die kurzfristige Reaktion auf das, was wir 2022 erlebten und jetzt in 2023 immer noch erleben. Die Inflation geht nach oben, die Preise steigen stark an, gleichzeitig sind die Reallöhne gesunken. Es zeigt sich, dass die anfängliche melancholische Hinnahme der Konsumenten zunehmend einer rebellischen Haltung weicht. Einer Rebellion, die sich bei vielen Menschen in – zumindest latenter – Wut ausdrückt. So haben in einer im November 2022 von uns durchgeführten Befragung 47 Prozent der Menschen gesagt, dass sie die Erhöhung der Preise wütend macht, weil sie meinen, die Erhöhungen seien gewollt und sie die Leidtragenden sind. Die Shopper müssen pragmatisch auf diese Situation reagieren, da ihre Budgets stark begrenzt sind und die Preise steigen. Demnach müssen sie gezielt einkaufen. Das meine ich mit wütendem Pragmatismus, der einfach zu erklären ist aus den Budgetrestriktionen.
Wie reagieren die Shopper konkret darauf?
Dr. Robert Kecskes: Inzwischen geben 23 Prozent der Haushalte in Deutschland an, dass sie sich fast nichts mehr leisten können. Daher wird der Einkauf stärker geplant, das heisst die Handzettel werden intensiver genutzt, und genau überlegt, welche Produkte wirklich benötigt werden. Letztlich hat die Budgetierung dazu geführt, dass sparsamer eingekauft wird und sich die Shopper fragen: Sind die Handelsmarken nicht doch ein tolles Äquivalent zu den Herstellermarken? Die Folge, sie greifen zur Handelsmarke, um Geld zu sparen. Dies wiederum führt zu einer partiellen Abkehr von höherpreisigen Marken.
Was ist für 2023 zu erwarten?
Dr. Robert Kecskes: Generell glaube ich, dass sich die Situation in 2023 erstmal nicht entspannen wird. Die Menschen werden weiter pragmatisch einkaufen und das aus mindestens zwei Gründen. Die Preissteigerungen werden im Bereich der Lebensmittel zwar leicht zurück gehen. Allerdings setzen diese auf eine hohe Preissteigerung in 2022 auf, sodass insgesamt viel mehr bezahlt werden muss und gleichzeitig steigen die Einkommen häufig nicht in dem gleichen Masse. Insofern wird diese Situation weiter sehr angespannt bleiben und die Menschen werden weiter schauen, dass sie möglichst günstig einkaufen. Dazu kommt, dass die Menschen jetzt nach der Corona-Pandemie wieder am öffentlichen Leben teilnehmen wollen. Sie wollen reisen und ausserhalb der vier Wände ihr Leben geniessen. Bei begrenztem Budget müssen sie das natürlich umverteilen. Das heisst, wenn es zu einer Entspannung kommt und die Haushalte wieder etwas positiver in die Zukunft schauen, ist es nicht sicher, dass davon sofort der Lebensmitteleinzelhandel profitiert. Es könnte auch sein, dass erstmal das überschüssige Geld, was die Konsumenten wieder zur Verfügung haben, in den Out-of-Home-Konsum investiert wird.
Werden die Shopper zum alten Kaufverhalten zurückkehren?
Dr. Robert Kecskes: Das werden sie nicht. Nicht nur, weil die Situation weiter angespannt bleibt, sondern, weil sie 2022 viele Erfahrungen gemacht haben mit Produkten, die sie vorher nicht hatten. Das beste Beispiel sind die Handelsmarken. Es haben viele Menschen Handelsmarken gekauft. Damit haben die Handelsmarken an Reichweite und auch an Marktanteilen hinzugewonnen. Nehmen wir mal an, viele Menschen sind mit der Qualität dieser Produkte durchaus zufrieden, wenn diese Zufriedenheit gepaart mit dem preisgünstigeren Kauf der Handelsmarke verbunden wird, dann stellt sich die Frage: Warum sollte der Shopper zu den Herstellermarken zurückkehren? Damit ist ein neues Konkurrenzverhältnis eingetreten und die Handelsmarken haben mit Sicherheit stark an Reputation gewonnen.
Stand denn in der letzten Zeit der Preis zu sehr im Fokus und damit zu wenig die Bedürfnisse der Verbraucher selbst?
Dr. Robert Kecskes: Ja, natürlich. Ein Viertel der Haushalte kann sich kaum was leisten, daher steht natürlich der Preis beziehungsweise das Nichtüberschreiten des Budgets, das man zur Verfügung hat, ganz stark im Zentrum. In der Corona-Pandemie musste auf Reisen und Restaurantbesuche verzichtet werden. Das gesparte Geld konnte für teurere Produkte ausgegeben werden. Das ging in 2022 nicht, ganz im Gegenteil. Hier musste der Shopper schauen, dass die Bonsumme nicht explodiert und beim Einkauf stand der Preis im Fokus. Aber, und das zeigen unsere Untersuchungen deutlich, die Menschen versuchen trotzdem ihre Standards im Bereich der Nachhaltigkeit nicht zu verraten.
Ist Nachhaltigkeit weiterhin wichtig für die Shopper?
Dr. Robert Kecskes: Wir sehen über alle Einkommensgruppen hinweg, dass die Wichtigkeit von Bio und Nachhaltigkeit auch in 2022 gestiegen ist. Im Kaufverhalten hat sich das nur nicht so eindeutig gespiegelt. Vor allen Dingen bei den Shoppern, die sich kaum noch was leisten konnten, da ist die Wichtigkeit von Nachhaltigkeitsaspekten weiterhin gestiegen. Sie haben aber nicht mehr ganz so viel Geld für diese nachhaltigen Produkte ausgeben können. Bei Verbrauchern, die weiterhin viel verdienen, sehen wir das auch bei dem Ausgabeverhalten, das weiter gestiegen ist.
Was empfehlen Sie Händlern wie Herstellern?
Dr. Robert Kecskes: Für Händler wie auch für Marken ist es wichtiger denn je, diese Aspekte weiterhin zu verfolgen, auch wenn sie 2022 relativ in den Hintergrund getreten sind gegenüber dem Preis. Natürlich kann ich mich über den Preis abgrenzen, aber vor allen Dingen dann, wenn ich den Preis verbinde mit sozialer Verantwortung, die ich übernehme.
Muss insgesamt gesehen die Bedeutung von Wohlstand neu definiert werden?
Dr. Robert Kecskes: Diese «Dingwelt» der Industriegesellschaft ist vorbei, sie wird transformiert in eine Sinnwelt einer Kulturgesellschaft, wo Wohlstand auch über andere Dinge definiert wird. Hier fehlt vielen Menschen die Idee, wie das aussehen könnte. Im Augenblick haben sie das Gefühl, sie laufen auf eine Apokalypse zu, auf eine Zukunft, wo es überall brennt und nicht eine Zukunft, wo die Sonne aufgeht. Hier sind Akteure gefragt, so ein Zukunftsnarrativ zu entwerfen und danach zu handeln. Dabei ist der allererste Schritt, dass man den Menschen vermittelt, dass sie nicht Mittel sind, um den individuellen Reichtum zu maximieren, sondern dass sie selbst Zweck sind und diejenigen sind, um die es geht und Handel wie Hersteller Mittel suchen, ihre Situation zu verbessern.
Was braucht es für den Handel, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein?
Dr. Robert Kecskes: Es muss immer wieder eine neue Balance gefunden werden, zwischen Anpassungsmodus und Gestaltungsmodus. Im Anpassungsmodus sprechen wir über Preise, über Sonderangebote, darüber wie die Menschen kurzfristig entlastet werden können – sowohl ökonomisch als auch sozial. Wie können Sortimente aussehen, die akute ökonomische, funktionale und sozial-ökologische Bedürfnisse befriedigen? Das sind wichtige Aspekte im Anpassungsmodus und da muss ein Unternehmen sehr agil bleiben. Es reicht aber nicht, gleichzeitig muss eben im Gestaltungsmodus gezeigt werden, in welche Richtung das Unternehmen der Händler arbeitet, was er für eine Zukunftsvision hat. Und diese Balance zwischen Anpassung und Gestaltungsmodus muss immer wieder neu gefunden werden, dass ist der entscheidende Blick.