Goodbye, Geldbeutel?

Montag, 07. April 2014
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54 Prozent der Deutschen können sich vorstellen, auf ihren Geldbeutel zu verzichten und stattdessen mit dem Handy zu bezahlen. Bis dahin gilt es jedoch für alle Beteiligten, noch jede Menge Hürden zu meistern.

Die Handtaschen der Damen und die Hosentaschen der Herren könnten in Zukunft leerer werden. Denn: Es geht der guten alten Geldbörse ans Leder. Laut einer Studie von ECC Köln und Goetzpartners können sich 54 Prozent der Deutschen schon heute vorstellen, mit dem Handy zu bezahlen. Über die Hälfte der Interessenten wäre sogar bereit, für die perfekte „digitale Börse“ (auch „Mobile Wallet“ genannt) Geld in die Hand zu nehmen. Die Bereitschaft ist demnach groß. Doch wie sieht es mit der tatsächlichen Praxis aus? „Bis mobiles Bezahlen auf der Fläche Alltag wird, liegt noch ein langer Weg vor uns“, sagt Ercan Kilic, Leiter des Strategieprojekts MobilCom bei GS1 Germany. Und das, obwohl diverse Pilotprojekte sowie neue Bezahl-Applikationen von Handel, Banken und Kreditkartenunternehmen zeigen, dass sich das Thema „Mobile Payment“ auf dem Vormarsch befindet.

Universalität ist gefragt

Das Problem: Viele Köche verderben den Brei; eine einheitliche Lösung ist derzeit nicht in Sicht. Die ist allerdings den Kunden wichtig: „Anbieter müssen gewährleisten, dass der Konsument mit seiner Mobile Wallet überall bezahlen kann“, so Marcus Worbs, Partner beim Beratungsunternehmen Goetzpartners. Statt eines derartigen universellen Angebots tummeln sich derzeit viele verschiedene Technologien – beispielsweise NFC (Near Field Communication), Barcodes, QR-Codes, cloudbasierte Lösungen oder Beacon BLE (Bluetooth Low Energy) – von vielen verschiedenen Anbietern auf dem Markt.

Handel steckt im Dilemma

„Es gibt bereits Kooperationen zwischen verschiedenen Marktteilnehmern“, sagt Worbs. Diese seien jedoch häufig instabil und noch nicht überzeugend, da zu viele verschiedene Interessen im Spiel wären. „Es müssen dringend nachhaltige, stabile Kooperationen zwischen Handel, Banken und Mobilfunkanbietern gefunden werden“, so der Berater. Das Dilemma für den Handel: Er steht vor der Herausforderung, die richtige Technologie auszuwählen, seine Systeme entsprechend umzurüsten und seine Mitarbeiter zu schulen. „Das hemmt derzeit die Marktdurchdringung“, so Kilic. Abgesehen davon steige „die Angst vor einem Preisdiktat und einer Marketingabhängigkeit von Dritten“, nicht nur hierzulande, sondern auch in den USA. Dort hätten sich die großen Händler aus diesem Grund in der Initiative MCX (Merchant Customer Exchange) zusammengeschlossen, sagt Horst Rüter, Experte für Zahlungssysteme und Mitglied der Geschäftsleitung beim EHI. „In diesem Geschäft kann es um Gebühren in Milliardenhöhe gehen. Daher ist es wichtig, die Weichen rechzeitig zu stellen.“

Viele Fragen sind zurzeit noch offen: Ist ein flächendeckendes, sicheres Zahlungsumfeld beispielsweise wirklich nur unter Einbeziehung von Telekommunikationsdienstleistern möglich? Und: Wer bezahlt deren Leistungen? Außerdem beschäftigt sich die Branche damit, welche Funktionen die digitale Börse bieten muss, damit der Kunde diese auch in der Praxis anderen Zahlungsmitteln vorziehen würde. „Der mobile Bezahlvorgang muss genauso schnell und einfach sein wie die Bezahlung mit Bargeld oder der EC-Karte“, so Dr. Kai Hudetz, Geschäftsführer beim IFH Köln. Bei den bisherigen Lösungen stünden jedoch umständliche Registrierungen und komplizierte Verfahren diesem Anspruch im Weg. Ebenfalls wichtig für die Kunden: das Thema Sicherheit. „Für 70 Prozent der von uns befragten Kunden ist Sicherheit das wichtigste Thema für die Wahl einer Mobile-Wallet-Lösung“, sagt Worbs von Goetzpartners.

Erste Pilotprojekte starten

Außerdem wünschen sich Konsumenten von einer digitalen Börse – neben der Bezahlung am POS und in Online-Shops – auch die Speicherung von Karten, Tickets, Coupons und Dokumenten (siehe Grafik unten). Vorteil: „Händler können über die gespeicherten Daten ihre Kunden besser kennenlernen und personalisierte Angebote entwickeln“, erläutert Hudetz. Trotz aller ungeklärten Fragen starten einige Händler bereits mit ersten Gehversuchen, darunter das Schweizer Baumarktunternehmen Jumbo. Kunden, die im Besitz einer Manor- und Jumbo-Kundenkarte sind, können mit der sogenannten „Jumbo Card App“ bezahlen. Das Unternehmen erhofft sich dadurch einen entscheidenden technologischen Vorsprung gegenüber den Mitbewerbern. „Wenn wir bereits in die zweite Phase starten, werden andere erst testen müssen, was funktioniert und was nicht“, so Massimo Moretti, Leiter der Medienstelle bei Jumbo. Die App konnte 2013 pannenfrei an den Start gehen, bislang sei die Anzahl der Nutzer jedoch „eher bescheiden“. „Erstaunt hat uns vor allem, dass die meisten Nutzer über 45 Jahre alt sind“, sagt Moretti. Auch Bartels-Langness befindet sich derzeit in der Programmierungs- und Testphase einer Mobile-Payment-Lösung. Aussagen über erste Erfahrungen wollen die Kieler im Moment jedoch noch nicht treffen. Vom Alltag also alles noch weit entfernt, aber immerhin ein Anfang. „Ich gehe davon aus, dass Mobile Wallets innerhalb der nächsten fünf Jahre einen festen Platz im Zahlungsverkehr einnehmen werden“, so Worbs optimistisch.

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Interviews

Dr. Kai Hudetz, Geschäftsführer, IFH Institut für Handelsforschung

54 Prozent der Deutschen können sich vorstellen, auf ihren Geldbeute zu verzichten und stattdessen mit dem Smartphone zu bezahlen. Wann könnte dieses Szenario im deutschen Handel Alltag werden?
Das wird, bei aller Euphorie für die neuen Bezahlmöglichkeiten, noch eine ganze Weile dauern, bis das wirklich flächendeckend der Fall ist. Viele Konsumenten sind beim Bezahlen am POS doch noch sehr konservativ. Bargeld, Kreditkarte und EC-Cash sind beliebt, da haben es innovative Bezahloptionen schwer. Ich bin fest davon überzeugt, dass auch noch in 15 Jahren Bargeld eingesetzt wird und daher viele Konsumenten auch noch einen Geldbeutel im Einsatz haben. Aber auch das kontaktlose Bezahlen per Smartphone oder anderen Endgeräten, denken wir an Google Glass oder ähnliches, wird dann für viele eine Normalität darstellen.

Welche Hürden hat der Handel bis dahin zu bewältigen?
Da existieren schon noch einige Hürden. Zunächst einmal muss sich ein technischer Standard herauskristallisieren, auf den es sich für den Handel zu setzen lohnt. Aktuell befürchtet der Handel ja nicht ganz zu Unrecht, dass er zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht auf eine Technologie setzt, die schon in Kürze wieder überholt wird. Die größte Barriere sehe ich aktuell jedoch beim Kunden, der erst einmal davon überzeugt werden muss, dass ihm das Bezahlen via Smartphone tatsächlich Vorteile bietet und zwar nicht nur dann , wenn er mal den Geldbeutel vergessen hat. 

Welche Vorteile muss der mobile Bezahlvorgang bieten, damit der Kunde auf diesen auch wirklich zurückgreifen würde?
Das ist meines Erachtens tatsächlich die entscheidende Frage. Wo ist der Mehrwert? Dieser kann beispielsweise darin bestehen, dass dem Kunden dadurch die Möglichkeit zum Self-Checkout gegeben wird und er sich nicht mehr an der Kasse anstellen muss. Der größte Mehrwert könnte aber in der Verknüpfung mit Kundenkarten, Bonusaktionen und ähnlichem bestehen, hier setzen die Wallet-Systeme an. Kunden könnten beispielsweise ihre vergangenen Zahlungsvorgänge direkt übersichtlich angezeigt bekommen, spezifische Rabatte einlösen oder ähnliches. Bislang legen die Anbieter mobiler Bezahllösungen häufig den Schwerpunkt darauf, den Händler zu überzeugen, das System einzusetzen, beispielsweise durch Efizienz- und Kostenvorteile. Das wird aber nichts nützen, wenn der Konsument den Mehrwert für sich nicht erkennt und weiterhin bei bewährten Bezahlverfahren bleibt.

Das Thema Datensicherheit ist derzeit in aller Munde. Widerspricht dies nicht der Einführung von einer „digitalen Geldbörse“
Auch diese Entwicklung hemmt sicher die rasche Einführung der „digitalen Geldbörse“. Zum einem besteht bei vielen Kunden die Angst vor unsicheren Transaktionen via Handy – ob berechtigt oder nicht. Zum anderen wird auch befürchtet, zum gläsernen Kunden zu werden. Natürlich sind das die meisten von uns über Kredit- und Kundenkarten ohnehin schon, aber trotzdem besteht diese Angst. Und Bargeld bietet die schöne Möglichkeit, ganz anonym einzukaufen. Auch diesen Aspekt wissen viele im Zeitalter von – tatsächlichen oder vermeintlichen – Datenskandalen zu schätzen. Es geht für die beteiligten Unternehmen nicht nur darum, Datensicherheit zu gewährleisten, sondern dies auch überzeugend zu kommunizieren.
 

 

Horst Rüter, Experte für Zahlungssysteme und Mitglieder der Geschäftsleitung, EHI Retail Institute

Viele Verbraucher können sich schon heute vorstellen, mit ihrem Smartphone zu bezahlen. Wann könnte diese "Vorstellung" Alltag werden?
Wenn sich die "Vorstellung" in "Bedürfnis" ändert, wird sich der Einzelhandel diesem Wunsch seiner Kunden ganz bestimmt nicht verschließen - auch wenn es bis dahin noch viele ungelöste Fragen gibt. Mit dem kontaktlosen Bezahlen, von vielen als Vorstufe von Mobile Payment angesehen, schaffen schon jetzt rund zwei Drittel aller großen Handelsunternehmen - so das Ergebnis der jüngsten EHI Erhebung - eine wichtige Grundlage. Allerdings ist die Akzeptanz durch die Kunden derzeit noch absolut unbefriedigend. Lediglich zwischen ein und drei Prozent aller kartengestützten Zahlungen werden derzeit in Pionierbranchen wie beispielsweise Tankstellen kontaktlos abgewickelt - und das bei mittlerweile ausgegebenen Karten im zweistelligen Millionenbereich. Wenig förderlich ist es in diesem Zusammenhang, wenn jüngst mit der genossenschaftlichen Bankengruppe die Nummer zwei in der Deutschen Kreditwirtschaft den Ausstieg aus der GeldKarte-Technologie und damit auch aus dem girogo-Projekt der Kreditwirtschaft verkündet hat. Strategische Einigkeit sieht sicherlich anders aus.

Welche Fragen müssen sind noch offen?
Beim mobilen Bezahlen sind noch viele Fragen offen: Ist ein wirklich flächendeckendes, sicheres Zahlungsumfeld nur unter Einbeziehung der Telekommunikationsdienstleister denkbar? Wer finanziert deren Leistung? Wer ist der Leader bei der Einführung mobiler Zahlungslösungen? Gerät der Handel wieder einmal in eine ungewollte Abhängigkeit? Die MCX-Initiative der großen US-Händler zeigt, dass man auf der andere Seite des Atlantiks bereits große Befürchtungen vor einem Preisdiktat und einer Marketingabhängigkeit von Dritten hat. In diesem Geschäft kann es um Gebühren in Milliardenhöhe gehen - und daher ist es wichtig, die Weichen rechtzeitig zu stellen. Dass auch die Technologiefrage noch ungelöst ist, wird vermutlich noch das geringste Problem sein. Die Händler des EHI-IT-Round-Table sind sich in diesem Punkte weitgehend einig: Sind erst einmal die konzeptionellen Fragen gelöst und die Bereitschaft zur Nutzung von Mobile Payment beim Kunden erkennbar, wird auch die Frage der Technologie schnell gelöst werden.

Welche Vorteile muss Mobile Payment bieten, damit der Kunde dieses auch in der Praxis nutzt?
Sicher, schnell, preiswert und mit hohem Convenience-Faktor - also eine Bestausprägung der vier Säulen erfolgreicher Payment-Systeme, die aus Sicht der Kunde auch schon heute gelten. Der Kunde muss für sich ganz persönlich einen echten Mehrwert in dieser innovativen Form des Bezahlens erkennen. Wenn das nicht klappt, wird es nicht zu einer flächendeckenden Nutzung kommen. Außerdem ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen "Beschallung" und "Empfangssensitivität" bei der Anbindung von Marketing-Aktivitäten geboten, denn wenn der Kunde von einer Überfrachtung mit Werbebotschaften "genervt" ist, diese Marketing-Aktivitäten aber wesentliche Grundlage der Systemfinanzierung sind, kann auch dies eine ganz enge Gratwanderung zwischen Erfolg und Misserfolg werden. Es stellt sich also von vornherein die Frage, ob eine Quersubventionierung des Payment über das Marketing der wirklich einzige zukunftsweisende Weg ist.