Foto: Anika Mester
Die digitale Revolution ist auf unseren Tellern angekommen. Digitale Technologien bestimmen heute nicht nur, wie wir zu unserem Essen finden, sondern auch wie Lebensmittel angebaut, geliefert und gekocht werden. Wie wir die Kontrolle über unser Essen behalten, darüber haben wir mit Hendrik Haase gesprochen, Mit-Autor des Buches «Food Code».
Inwieweit revolutioniert die Digitalisierung die Ernährung?
Hendrik Haase: Die Digitalisierung greift heute in allen Punkten der Lebensmittelkette massiv ein. Dies führt dazu, dass Lebensmittelketten präziser gesteuert und geplant werden können, durch immer mehr Daten, durch immer präzisere Vorhersagen mittels Algorithmen, die mit unserem Verhalten lernen. Dadurch können heute Ressourcen eingespart, Nachfragen bedient, die Landwirtschaft präziser gesteuert werden. Es führt allerdings auch dazu, dass durch erhöhte Datenvolumina und deren Verarbeitung, die rund um unser Essen zur Verfügung stehen, eine Ernährungsüberwachung stattfindet. Nach unseren Recherchen für das Buch «Food Code» befinden sich diese in den Händen von Technologie-Giganten und das könnte einem schon Sorgen machen.
Inwiefern?
Hendrik Haase: Die grossen Technologie-Giganten, die es gewohnt sind, sich auf individuelle Consumer einzuschiessen beziehungsweise mit diesen Daten umzugehen, die werden in den nächsten Jahren auch, oder sind jetzt schon dabei, das Thema Lebensmittel für sich entdecken. In Zukunft wird man es mit sehr grossen Konzernen wie Amazon zu tun haben, den viele noch für einen Buchhandel halten oder einen Konkurrenten, der im Bereich Lebensmittelhandel nicht ernst zu nehmen ist. Wir werden erleben, dass die Zukunft des Lebensmittelhandels auch ein Kampf um Datenhoheit ist.
Wie weit ist die digitale Technik schon fortgeschritten hinsichtlich der Herstellung von Lebensmitteln?
Hendrik Haase: Es wird sich so eine Art Lebensmittelhandwerk 2.0 herausbilden, womit sich handwerkliche Prozesse auch mit Maschinen abbilden lassen. Dadurch besteht die Chance, dass Lebensmittel vielfältiger und auch individueller zugeschnitten werden können. Das ist eben das Zusammenspiel aus immer mehr und immer besseren Daten.
Wo sehen Sie Chancen und wo liegen Ihre Befürchtungen, wenn die Digitalisierung die Oberhand gewinnt?
Hendrik Haase: Eine meiner Befürchtungen ist, dass sich dort ein Menschenbild herausbilden kann, dass den Menschen als Maschine sieht. Wir müssen uns neu definieren, was uns als Menschen ausmacht und was auch unsere grosse Chance ist. Das sehen viele Forscher gerade in Bezug auf Künstliche Intelligenz, denn diese Technologie wird vor sehr menschliche Fragen gestellt. Dann wird es fast schon philosophisch, sich zu fragen, was macht uns eigentlich als Menschen aus und was unterscheidet uns von Maschinen und Künstlicher Intelligenz. Es gibt viele Chancen, dieses Menschenbild dazu zu nutzen, dieses zu hinterfragen und sich weiterzuentwickeln, wenn die Digitalisierung unser Essen immer individueller macht.
Wie sollte der Lebensmittelhandel darauf reagieren?
Hendrik Haase: Das Beste ist, wenn er diese Entwicklung begleitet und mitentwickelt. Oft ist es so, dass das Versprechen der Individualisierung einhergeht mit der Aufforderung, seine Daten zu hinterlassen. Es geht aber nicht um das Produkt oder die individuelle Wunschbefriedigung, sondern, es geht nur darum, den Verbrauchern die Daten abzuringen. Das heisst, das Versprechen der Individualisierung muss auch eingehalten werden.
Sie sprechen im Buch von einer völligen Vernetzung der Lieferkette – vom Acker bis auf den Teller. Was hat dies zur Folge?
Hendrik Haase: Die Folge ist, dass sich immer präziser errechnen lässt, was wo gebraucht wird, was wo produziert wird. Wenn wir uns dabei vor Augen führen, dass die Daten der Landwirtschaft schon jetzt zu grossen Teilen auf Servern von Amazon Web Services (AWS) liegen, dass viele Anbieter oder Produzenten wie Unilever zum Beispiel auf die AWS-Cloud zurückgreifen müssen, auch der Handel dort Daten speichert, dann wird irgendwann klar, dass sich dort Daten zusammenballen in wenigen Händen. Amazon Web Services ist ein US-amerikanischer Cloud-Computing-Anbieter, der 2006 als Tochterunternehmen des Online-Versandhändlers Amazon gegründet wurde. Darin sehe ich eine grosse Problematik. Trotzdem hat diese völlige Vernetzung auch Vorteile, im Sinne von Ressourceneinsparungen und immer präziseren Vorhersagen, was, wo gebraucht wird. Da näheren wir uns, um bei den Worten von Technologieexperten zu bleiben, einer Smart-City an. Wie gesagt, da sollten wir als Gesellschaft, glaube ich, und auch als Handel dafür kämpfen, dass wir da nicht irgendwann in einer Monopolgesellschaft aufwachen oder Oligarchien vor uns finden, sondern immer noch ein breites Wettbewerbsfeld haben und auch einen Mittelstand, der dort mitspielen kann, und dafür brauchen wir auch eine öffentlich funktionierende Infrastruktur, die in der Lage ist, diese Daten zu verarbeiten und zu speichern.
Ist den Verbrauchern bewusst, dass sie durch die Nutzung der digitalen Helfer abgehört und ihre Daten ausgewertet werden?
Hendrik Haase: Meine Erfahrung ist, dass bei vielen Verbrauchern durch die Snowden-Enthüllungen und allgegenwärtige Überwachung durch Facebook durchgesickert ist, dass man mit Daten sensibler umgehen sollte. Im Lebensmittelbereich gehen viele noch davon aus, dass dieses Thema unterrepräsentiert ist. Obwohl wir uns klar machen müssen, dass der Barcode schon 50 Jahre alt. Also die Digitalisierung des Essens ist immanent damit verbunden. Wir müssen uns bewusst machen, dass mit dem Konsum von Lebensmitteln eine ganze Reihe an Daten von uns gesammelt werden wie Bewegungsdaten, Fitnessdaten, Essdaten, Bestelldaten, und Einkaufsdaten. Das dürfen wir keinesfalls unterschätzen.
Wer künftig unbeschwert geniessen will, sollte sich mit Datentechnologie beschäftigen. So ein Fazit von Ihnen. Was heisst das konkret?
Hendrik Haase: Dem Handel rate ich, sich anzuschauen wie die Start-up-Branche technologisch an die Kulinarik herangeht. Er sollte sich auch andere Wirtschaftszweige anschauen, die von dieser digitalen Disruption schon viel früher betroffen waren. Wichtig ist, den Kunden mitzunehmen, eine ausreichende Transparenz zu bieten, die die Vorteile und die Benefits ganz klar auch fühl- und erlebbar macht, die diese Datensammlung und diese Datenverarbeitung bieten.
Was ist hierfür erforderlich?
Hendrik Haase: Wir brauchen ein breiteres Verständnis davon, was Daten heute sind und wo sie entstehen. Dazu braucht es einen Zugang und die Schaffung von Infrastrukturen, die sich am Allgemeinwohl und der Demokratie orientieren und nicht an monopolistischen Steuerparadiesen, in die sich die Technikkonzerne gerne verziehen. Wir müssen ein Mitspracherecht einfordern, das ist mit Sicherheit das Fazit, das wir aus dem Buch «Food Code» ziehen können. Hier sind wir am Anfang eines Prozesses, der erst mal ein Interesse und ein Verständnis der Relevanzsysteme in der Lebensmittelwelt voraussetzt und dem sollten wir uns alle stellen.