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Der Konsum wandert aus den Stadtzentren in die Wohngebiete und Vororte ab. Das ifo Institut erwartet, dass dieser Trend auch in Zukunft anhält.
Corona-Pandemie und Home-Office haben den Konsum räumlich verlagert. Das zeigt eine Analyse des Münchener ifo Instituts. Dazu wurde die Entwicklung der Einzelhandelsumsätze in fünf deutschen Grossstädten und deren Umland untersucht. Ergebnis: Der Umsatz in den Innenstädten lag auch im Sommer 2022 weiterhin zehn Prozent unter dem Vorkrisenniveau. Wohngebiete verzeichneten hingegen einen im Schnitt 20 Prozent höheren Konsum als vor Corona. Zusätzliche Umfragedaten lassen darauf schliessen, dass das auch in Zukunft in einem ähnlichen Umfang erhalten bleibt und damit die Standortpolitik des Handels beeinflussen dürfte.
Verlagerung zum Wohnort
Vor allem in relativ zentral gelegenen Stadtbezirken wie Milbertshofen oder Schwabing-Freimann in München, die neben Wohnbebauung Gewerbegebiete und grosse Arbeitgeber wie die BMW AG beherbergen, brach der Konsum deutlich ein. Dezentrale Wohnbezirke wie Aubing oder zentrale Bezirke mit hoher Wohnbebauung, aber geringer Bürodichte wie Schwabing-West, verzeichnen hingegen einen Konsumanstieg. Dies deutet laut ifo auf einen Zusammenhang mit Bürobebauung und Home-Office-Nutzung hin. Auch seit der Aufhebung der Corona-Einschränkungen im April 2022 liegt der Konsum in ehemals umsatzschwachen Wohngebieten bis zu 40 Prozent über dem Vorkrisenniveau, während er in einst umsatzstarken Gebieten immer noch knapp zehn Prozent zurückliegt.
Starke Verschiebungen
Dies signalisiere eine andauernde Konsumverlagerung, so die Autoren der Studie: «In ländlichen Wohngebieten wird dauerhaft mehr konsumiert, während der Konsum in zentralen Bereichen zurückgegangen ist.» Dieses Bild wird durch eine Analyse nach Branchen gestützt. Die Verlagerung erfolgt demnach nicht nur bei Lebensmitteln, sondern auch bei langlebigeren Gütern, die traditionell häufig in Einkaufsstrassen und -zentren gekauft werden. Ein Teil dieser Umsätze ist aber auch zum Online-Handel abgewandert.
Home-Office als Treiber
Vergleichbare Trends zeigen sich bei einer Einteilung der innerstädtischen Gebiete auf Basis amtlicher Flächennutzungspläne. Insbesondere in Gebieten mit gemischter Bebauung – zumeist relativ zentrale Bezirke mit Bürogebäuden, Einkaufsmöglichkeiten und Wohnungen – sowie in etablierten Einkaufsstrassen brach der Konsum stark ein. In den vergangenen Monaten hat sich das Bild wieder etwas relativiert. Während Einkaufsstrassen wieder ihr Vorkrisenniveau erreicht haben, liegt der Konsum in Wohngebieten dauerhaft höher. In Gebieten, in denen ein stärkeres Home-Office-Wachstum möglich war, sogar etwa 20 Prozent über dem Vorkrisenniveau.
Langfristiger Trend
Die ifo-Wissenschaftler sind auch der Frage nachgegangen, was diese Ergebnisse für die nahe Zukunft bedeuten. Im Schnitt der fünf untersuchten Metropolregionen wünschen sich 30 Prozent der Beschäftigten, künftig mindestens einen Tag in der Woche im Home-Office zu arbeiten. Das wäre mehr als eine Verdoppelung gegenüber dem Vorkrisenniveau (14 %). Auch Unternehmen planen mit mehr Home-Office, wenn auch zunächst in deutlich niedrigerem Umfang (16 %). «Wenn sich Verhandlungen perspektivisch etwa in der Mitte treffen, dann würden ähnlich hohe Home-Office-Quoten, wie wir sie während der Corona-Pandemie beobachtet haben, erreicht werden, nämlich 24 Prozent im Februar 2022», so die Rechnung der Experten. Dies lasse erwarten, dass sich die Konsumausgaben auch langfristig in Wohnbezirke und suburbane Gebiete verschieben.
Grundlegende Änderungen
Ferner ist davon auszugehen, dass insbesondere der unterwöchige Konsum in den Innenstädten hinter dem Vorkrisenniveau zurückbleiben wird. Von dieser Entwicklung am stärksten betroffen sind Einzelhandel und Gastronomie in zentralen Lagen und im Umfeld grosser Bürokomplexe. Wenn zukünftig mehr Arbeitnehmer von zu Hause arbeiten, dann wird die Stadt der Zukunft deutlich dezentraler organisiert werden müssen. Fazit der Studie: «Die neue Arbeitswelt hat das Potenzial, das Erscheinungsbild der Städte grundlegend zu verändern.»