Die Ökonomie des Teilens

Dienstag, 06. Juni 2017
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Fast jeder Zweite hat schon einmal ein Share-Economy-Angebot genutzt. Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind die Treiber des Trends. Wie der LEH das Modell nutzen kann – Herausforderungen und Chancen.

Mitfahrdienste, Car-Sharing, Kleidertauschbörsen und das Teilen nicht verwendeter Lebensmittel boomen. Das zeigt: Teilen und Tauschen von Produkten oder Dienstleistungen liegen im Trend. Jeder zweite Deutsche hat laut einer Umfrage von PricewaterhouseCoopers (PwC) in den vergangenen zwei Jahren bereits ein Share-Economy-Angebot genutzt. 64 Prozent der Konsumenten planen, in den nächsten zwei Jahren eines zu nutzen. „Der Trend hin zur so genannten Ökonomie des Teilens (Share Economy) setzt sich immer mehr durch“, resümieren die Experten von PwC. „Die Zahl entsprechender Anbieter wächst stetig und das Wachstumspotenzial ist hoch.“ Händler wie Otto, Media Markt oder das MARKANT Mitglied Jumbo aus dem Bereich Baumarkt sind in das Geschäft bereits eingestiegen.

Share Economy zur Kundenbindung

So hat Jumbo Ende vergangenen Jahres Beteiligungen an zwei Sharing-Plattformen im Internet erworben. Bei der Plattform „Sharely“ steht das Teilen von Gebrauchsgegenständen im Vordergrund, bei „Needelp“ werden hingegen Dienstleister im Bereich Heimwerkarbeiten vermittelt. „Auf beiden Plattformen finden Jumbo-Kunden Leistungen, die über Produktberatung und Warenverkauf weit hinausgehen“, sagt Jérôme Gilg, CEO der Jumbo-Markt AG. Als Gründe für die Beteiligung nennt die Baumarktkette in erster Linie auch die Kundennähe. In der Juli-Ausgabe des MARKANT Magazins werden wir ausführlich über den Einstieg von Jumbo in die Share Economy berichten. 

Doch wie kann der LEH das Potenzial des Sharing-Modells für sich nutzen? Fakt ist laut Dr. Nikolas Beutin, Leiter Customer Practice bei PwC Deutschland: „Share Economy ist kein kurzfristiger Hype“. Die „Ökonomie des Teilens“ indes gibt es schon lange, nur eben unter einer anderen Begrifflichkeit. Partyverleih ist dabei das Stichwort. So bieten viele Märkte einen Partygarnituren-Verleih an, so auch Oliver Näthe von Lebensmittel Näthe in Herford. Der Kaufmann, der vom MARKANT Mitglied Bünting beliefert wird, nutzt dieses Angebot gezielt, um Kunden zu binden und sein Image zu pflegen. Sein Angebot umfasst dabei den Verleih von Bierbänken und –tischen, auch eine Zapfanlage für Bier stellt Näthe auf Wunsch bereit.

Idee nicht ganz neu

Mit seinem Verleih-Service, den er bereits seit zehn Jahren anbietet, kommt Näthe dem aktuellen Zeitgeist der Share Economy sehr entgegen, denn den Verbrauchern geht es vor allem darum, Kosten zu sparen und Ressourcen zu schonen. „Mein Angebot wird sehr gut angenommen, vor allem von jungen Familien“, so Näthe. Wenn der Handel das Potenzial für sich nutzen möchte, bedeutet dies aber auch, vorhandene Ansätze zu intensivieren und vor allem auch neu zu kommunizieren. 
Ein altes Modell, neu gedacht, sind auch Lösungen, mit denen der LEH dem Problem der Lebensmittelverschwendung entgegenwirken kann. Wer nicht verkaufte Lebensmittel an die Tafel vor Ort spendet, sollte laut Jan-Frieder Damm vom Bundesverband Deutsche Startups e.V. das Thema jetzt neu spielen: Er schlägt vor, eine Eigenmarkenlinie, etwa unter dem Namen „Share Commerce“, zu launchen. Entscheidet sich der Verbraucher für ein Produkt dieser Linie, wird ihm gleichzeitig garantiert, dass alle nicht verkauften Artikel der Marke einer sinnvollen Verwendung zugehen. „Auch wenn ein Supermarkt bereits Lebensmittel spendet, macht es doch einen Unterschied, ob ein solches Versprechen als Element der Handelsmarke am Point of Sale mitkommuniziert wird und vom Verbraucher in die Kaufentscheidung miteinbezogen werden kann“, so Damm.

Ebenso könnte dem Verbraucher mittels einer App ein Überblick über die im Markt vorhandenen Lebensmittel mit fast abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum gegeben werden. So hätten Kunden die Möglichkeit, Lebensmittel vor der Tonne zu retten und gleichzeitig auch noch Kosten durch Preisnachlässe zu sparen. „Eine solche Anwendung bietet dem Händler dementsprechend auch neue Möglichkeiten der flexiblen Preisgestaltung“, erläutert Damm. Ein ähnliches Modell gibt es bereits im Gastronomiebereich, wo Verbraucher mit der App „Mealsaver“ einen Überblick erhalten, welches Restaurant in ihrer Nähe kurz vor Ladenschluss vergünstigte Menüs anbietet. 

Modernes Mittel gegen die Lebensmittelverschwendung 

Im Kontext von Lebensmitteln gehe es den Verbrauchern vor allem darum, mit Share Economy Lebensmittelabfällen und Verpackungsmüll entgegenzuwirken, erläutert Dr. Nikolas Beutin von PwC. Wie bei anderen Bereichen im Lebensmittelhandel seien auch hier Umweltschutz und Nachhaltigkeit die Treiber des Trends. Der PwC-Experte Beutin sieht deswegen auch in den Unverpackt-Läden einen „Ausdruck der Share Economy“. Hier würden „Ressourcen wie etwa Reis oder Nudeln zu hundert Prozent bedarfsgerecht aufgeteilt, denn jeder Kunde packt sich exakt den Anteil ab, den er braucht“, erklärt er. Zusätzlich formierten immer mehr Verbraucher in den sozialen Netzwerken Gruppen, in denen sie nicht verwendete Lebensmittel kostenlos abgäben oder tauschten. „Wenn der Lebensmitteleinzelhandel auf diese Konsumentenbedürfnisse nicht umfassend eingeht, kann das im Zweifelsfall längerfristig zu Umsatzeinbußen führen. Er könnte etwa selbst eine solche Sharing-Gruppe gründen und dort als Moderator auftreten“, so Beutin.

Synergieeffekte in der Logistik 

Eine weitere Möglichkeit das Thema zu spielen, ist der Getränkekauf auf Kommissions-Basis, wie Kaufland ihn beispielsweise anbietet. Auf der Unternehmenshomepage heißt es: „Kaufen Sie lieber etwas mehr für Ihre Gäste. Ungeöffnete und unbeschädigte Flaschen nehmen wir gegen Vorlage des Kassenbons innerhalb von 14 Tagen gerne wieder zurück.“ Der Getränkekauf auf Kommissions-Basis ist nicht neu. Aber auch hier gilt, dass der Handel mit der heutigen Gesellschaft neu und anders kommunizieren und entsprechend auch das Angebot anpassen muss. So ist in diesem Kontext auch der Verleih von Zapf- und Kühlanlagen durchaus sinnvoll. Was letztere angeht, wird Oliver Näthe seinen Verleih-Service demnächst darum erweitern. 

Doch nicht nur auf der Ebene der Außenwirkung und Kundenbindung ergeben sich für den Handel Nutzungspotenziale der Share Economy. Zusätzlich „bringt die Share Economy für Unternehmen, auch aus dem Lebensmitteleinzelhandel, vor allem Einsparungen bei der Logistik mit sich“, so Beutin. „So können Ladeflächen gemeinsam genutzt, Transport- und Lagerkosten, Ruhezeiten, Umwege sowie Ressourcen eingespart werden.“ 

Auch MARKANT setzt auf Share Economy  

In der Praxis könnte das laut Beutin wie folgt aussehen: „Ein Bäcker backt morgens Brötchen und liefert sie aus. Den Transporter übergibt er dann an einen Supermarkt, der damit die Online-Einkäufe zu den Kunden nach Hause bringt.“ Die Idee an sich sei nicht neu, gerade in der Landwirtschaft würden seit Jahren Ressourcen wie Traktoren, Mähdrescher oder andere wichtige Maschinen geteilt. „Web-Plattformen, die sich darauf spezialisiert haben, sorgen jedoch für neuen Schub: Sie ermöglichen einen schnellen Überblick über Angebot und Nachfrage“. Durch digitalisierte Abrechnungsverfahren würde die Verwaltung erleichtert. Bewertungssysteme für Anbieter und Abnehmer schaffen dabei zusätzlich Kundenvertrauen.

Auch im Bereich der Digitalisierung hat das Thema Share Economy Einzug gehalten. So stellt die MARKANT Gruppe verschiedene zentrale E-Services wie etwa die MARKANT mediaBase, MAPIS oder ZAS ihren Mitgliedern zur Verfügung und damit wichtige Dienstleistungen sowie Ressourcen, die sie im eigenen Haus nicht vorhalten müssen. Sprich: MARKANT investiert in die Zukunft und lässt seine Mitglieder daran partnerschaftlich partizipieren. Das ist Share Economy im digitalen Transformationsprozess par excellence. 

News

Foto: Stefanie Brückner

Vom 24. bis 25. April findet das 125. Markant Handelsforum statt. Zu erwarten sind neben zeitaktuellen Vorträgen und Innovationen für den POS auch ein praxisnaher Austausch.

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Tegut hat das Jahr 2023 mit einem Nettoumsatz von 1,28 Milliarden Euro abgeschlossen und damit das Ergebnis des Vorjahres um 2,44 Prozent übertroffen.

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Nach einem Einbruch zu Jahresbeginn stabilisiert sich die Konsumstimmung in Deutschland jetzt wieder.

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In Österreich können biologische Lebensmittel trotz allgemeiner Teuerungen auf treue Verbraucher zählen.

Info

Share Economy, auch bekannt als KoKonsum, Collaborative Economy, Collaborative Consumption oder Peer-to-Peer Economy, ist derzeit in aller Munde und gilt als kommender Mega-Trend. Dabei werden zum Beispiel Räume, Autos, Geräte, Maschinen oder Kleidungsstücke gemeinschaftlich genutzt – also von Menschen geteilt, getauscht oder verliehen. Die Zahl entsprechender Anbieter wächst stetig und das Wachstumspotenzial ist hoch. 
 

Quelle: „Share Economy – Repräsentative Bevölkerungsbefragung 2015“, PricewaterhouseCoopers 2015

 

Info 

Beim Teilen gibt es große Unterschiede zwischen den Altersgruppen: 82 % der unter 30-Jährigen haben bereits von einem solchen Angebot Gebrauch gemacht; bei der Generation 60 Plus war es nur gut ein Viertel (27 %). Männer haben tendenziell schon häufiger Share Economy-Produkte in Anspruch genommen oder angeboten als Frauen. Über alle Altersgruppen hinweg wird sich das Teilen und Leihen als Alternative zum Kauf noch weiter verbreiten: 64 % der Befragten gaben an, künftig Angebote aus der Share Economy nutzen zu wollen.

 
Quelle: „Share Economy – Repräsentative Bevölkerungsbefragung 2015“, PricewaterhouseCoopers 2015.

 

Interview

Dr. Nikolas Beutin, Professor für Betriebswirtschaftslehre, und Leiter Customer Practice, PwC Deutschland

Ist das Thema Share Economy nur ein kurzfristiger Hype?
Der Trend zum Teilen ist meiner Meinung nach keine kurzfristige Modeerscheinung, sondern wird dauerhaft bestehen und sich auch deutlich auf die Arbeitsmodelle der Zukunft auswirken. Diese Entwicklung ist vor allem auf die Erwartungen der Deutschen an die Arbeit der Zukunft zurückzuführen: Knapp die Hälfte, nämlich 47 Prozent, zieht laut unserer PwC-Studie eine freiberufliche Tätigkeit gegenüber einer Arbeit im Unternehmen mit festen Strukturen vor. 55 Prozent der Deutschen sehen in dem Konzept der Share Economy eine Möglichkeit für zusätzliche Nebeneinkünfte – 68 Prozent gehen sogar davon aus, dass es im Jahr 2030 normal sein wird, mehrere Einnahmequellen zu haben statt eines einzigen 40-Stunden-Jobs. Potenzielle Nebentätigkeiten im Zusammenhang mit Share Economy sind beispielsweise freiberufliche Tätigkeiten als Anbieter von geteilten Produkten oder Dienstleistungen. Dabei ist das Teilen und Leihen als Alternative zum Kauf durch alle Altersgruppen hinweg auf dem Vormarsch und wird sich weiter durchsetzen.

Macht das Thema Share Economy Sinn für den Lebensmitteleinzelhandel? Inwiefern kann er diesen Trend aufgreifen? Wie sollte er dabei sein Angebot den entsprechenden Kundenwünschen anpassen? 
Share Economy spiegelt das wachsende Bewusstsein – besonders in Industrienationen – wider: Verbraucher möchten zunehmend aktiv einer Wegwerf-Gesellschaft und einem verantwortungslosen Umgang mit Ressourcen entgegen wirken. Ausdruck der Share Economy sind also auch die Unverpackt-Läden, in denen Ressourcen wie etwa Reis oder Nudeln zu hundert Prozent bedarfsgerecht aufgeteilt werden, denn jeder Kunde packt sich exakt den Anteil ab, den er braucht. Zusätzlich formieren immer mehr Verbraucher in den sozialen Netzwerken Gruppen, in denen sie nicht verwendete Lebensmittel kostenlos abgeben oder tauschen. Wenn der Lebensmitteleinzelhandel auf diese Konsumentenbedürfnisse nicht umfassend eingeht, kann das im Zweifelsfall längerfristig zu Umsatzeinbußen führen. Er könnte etwa selbst eine solche Sharing-Gruppe gründen und dort als Moderator auftreten.

Welches Wertschöpfungspotenzial könnte der Einstieg in die Share Economy dem LEH bieten? Welche Vorteile bietet Share Economy für den LEH darüber hinaus? 
Für Unternehmen, auch aus dem Lebensmitteleinzelhandel, bringt die Share Economy zum Beispiel Einsparungen bei der Logistik mit sich. So können Ladeflächen gemeinsam genutzt, Transport- und Lagerkosten, Ruhezeiten, Umwege sowie Ressourcen eingespart werden. In der Praxis könnte das wie folgt aussehen: Ein Bäcker backt morgens Brötchen und liefert sie aus. Den Transporter übergibt er dann an einen Supermarkt, der damit die Online-Einkäufe zu den Kunden nach Hause bringt. Die Idee an sich ist nicht neu, gerade in der Landwirtschaft werden seit Jahren Ressourcen wie Traktoren oder andere wichtige Maschinen geteilt. Web-Plattformen, die sich darauf spezialisiert haben, sorgen jedoch für neuen Schub: Sie ermöglichen einen schnellen Überblick über Angebot und Nachfrage. Durch digitalisierte Abrechnungsverfahren wird die Verwaltung erleichtert und Bewertungssysteme für Anbieter und Abnehmer schaffen zusätzlich Kundenvertrauen.

Wo liegen die Herausforderungen und Stolperfallen für den Handel?
Sowohl Konsumenten als auch Anbieter betrachten das Phänomen Share Economy auch kritisch: Über ein Drittel der Nutzer, nämlich 37 Prozent, äußern Bedenken in Bezug auf die Qualität der Dienstleistungen und Produkte. So innovativ und neu die Modelle der Share Economy auch sind, sie existieren nicht im rechtsfreien Raum, sondern müssen die bestehende Rechtsordnung beachten. Rund ein Viertel der Anbieter ist aufgrund der unklaren Gesetzeslage besorgt – beispielsweise im Hinblick auf die Gewerbesteuer oder den Versicherungsschutz im Schadensfall. Zusätzlich fehlt es deutschen Unternehmern auch an Mut und Willen, sich auf den Sharing-Gedanken einzulassen und sie tun sich noch schwer, neue Geschäftsmodelle zuzulassen und aufzubauen.

Einen großen Teil der Share Economy machen das gemeinschaftliche Nutzen von Autos und das Vermieten von teuren Geräten wie Waschmaschinen aus. Bedeutet Share Economy Kannibalisierungs-Effekte für die Industrie?
Natürlich wird die Share Economy auch dazu führen, dass potenziell weniger Güter von einer Kategorie produziert werden, da sich mehrere Konsumenten ein Produkt oder Konsumgut teilen. Das ist jedoch nur ein theoretischer volkswirtschaftlicher Nachteil. Denn das verfügbare Einkommen der Verbraucher reduziert sich durch das Teilen keineswegs, es wird nur anders auf die jeweiligen Konsumgüter verteilt. 

Lassen sich mit Share Economy Kaufentscheidungen beeinflussen?
Dadurch, dass sich das Einkommen nun anders verteilt, lassen sich Kaufentscheidungen durchaus beeinflussen, da Konsumenten im besten Fall differenzierter entscheiden können, in was sie investieren. Letztlich haben wir in Branchen wie beispielsweise Privatübernachtungen gesehen, dass die Investitionen in vermietbare Räumlichkeiten und Reisetätigkeit eher zunehmen. Die Share Economy heizt durchaus auch den Konsum und die Investitionen an.