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Immer schneller geraten Händler ins Kreuzfeuer öffentlicher Kritik. Der Auslöser ist oft banal, der Ton wird rauer. Eine Umfrage zeigt, welche Themen und Medien den Handel besonders in Atem halten.
Die meisten Handelsunternehmen kennen es aus eigener Erfahrung: Ein Produktrückruf, die Arbeitsbedingungen, die Beschaffungspolitik oder ein anderer Anlass sorgen für öffentliche Empörung – und das immer öfter. Fast drei Viertel der Unternehmen müssen sich mehrfach im Jahr mit solchen Krisen auseinandersetzen. Das ergab die Umfrage «PR-Krise – Ausnahme oder Alltag?» des EHI Retail Institute. Dabei findet der grösste Teil der kritischen Kampagnen gegen einzelne Handelsunternehmen in den sozialen Medien statt – Tendenz steigend. «Die digitalen Möglichkeiten bieten ideale Voraussetzungen für häufige Attacken mit teils banalen Anlässen und drastischer Tonalität», erklärt Ute Holtmann, PR-Expertin beim EHI Retail Institute.
Kritische soziale Themen
Kommunikative Krisen oder PR-Krisen sind nach EHI-Definition Ausdruck eines Interessenkonflikts zwischen Unternehmen und der Öffentlichkeit. Sie können eine Bedrohung der Reputation darstellen und negative wirtschaftliche Folgen mit sich bringen. Fast zwei Drittel der Händler (64 %) geben an, dass PR-Krisen in den letzten drei Jahren in ihren Unternehmen öfter als zuvor aufgetreten sind. Eine grosse Rolle spielen dabei die Social-Media-Kanäle. Die Zahl der Händler, die schon einmal Ziel einer Attacke in den sozialen Medien geworden sind, ist in den letzten Jahren sprunghaft gestiegen – von 33 Prozent im Jahr 2018 auf 82 Prozent Anfang 2020, dem Zeitpunkt der EHI-Umfrage.
Angeführt wird das Ranking der Kritikpunkte am Handel von Produktqualität und -preis (45 %). Direkt danach folgen soziale Themen wie Arbeitsbedingungen (29 %), soziale Verantwortung (25 %) oder auch Beschaffungspolitik (21 %). Unternehmen werden also zunehmend für ihre soziale Verantwortung in die Pflicht genommen. Aber auch Nachhaltigkeit spielt eine Rolle: Bei immerhin 17 Prozent der befragten Händler hat Kritik an einer Produktverpackung eine kommunikative Krise für das Unternehmen ausgelöst.
Krisen-PR braucht Profis
Den Anstoss für eine kommunikative Krise geben am häufigsten die Presse und Blogger, meinen 59 Prozent der Handelsunternehmen. 46 Prozent sehen die Kundschaft oder andere private Personen als häufigste Auslöser, 41 Prozent machen NGO (Nichtregierungsorganisationen) dafür verantwortlich, und ein knappes Drittel (32 %) schreibt Bewegungen und Initiativen wie «Fridays for Future» die Initiierung einer PR-Krise zu. Nur vergleichsweise wenige Krisen werden von eigenen Mitarbeitern/innen ausgelöst (5 %). Und noch eines stellen viele Händler fest: Der Ton wird immer rauer (43 %), der Anlass für Kritik hingegen zunehmend banaler (38 %).
Um vorbereitet zu sein, haben 69 Prozent der Unternehmen einen Krisenplan eingerichtet. 28 Prozent der Händler haben jedoch keinen festgelegten Plan für Krisen-Szenarien. Möglicherweise glauben nicht alle an die Notwendigkeit eines festgelegten Ablaufs, weil keine Krise der anderen gleicht. Ute Holtmann vom EHI rät gleichwohl zu einer professionell organisierten Unternehmenskommunikation: «Auch wenn operativ die richtigen Massnahmen getroffen werden, hängt der Verlauf einer Krise massgeblich von der kommunikativen Qualität ab.»