Den Kunden im Fokus

Dienstag, 07. Oktober 2014

Die Forderung der Verbraucher nach mehr Produkttransparenz stellt Handel und Industrie vor große Herausforderungen. Jörg Pretzel, Geschäftsführer von GS1 Germany, empfiehlt, sich diesen Ansprüchen zu stellen.

Herr Pretzel, die Konsumwelt wird immer komplexer und die Verbraucherbedürfnisse individueller. Wie müssen sich Handel und die Markenartikelindustrie vor diesem Hintergrund aus Ihrer Sicht für die Zukunft aufstellen?
Vor diesem Hintergrund stellt sich für mich die Frage, ob Wertschöpfung weiterhin vorrangig über Mengenwachstum zu definieren ist. In Anbetracht der Herausforderungen wie demografischer Wandel, neuer Zielgruppen wie Allergiker, Veganer, Digital Natives und Silver Surfer, Rohstoffverknappung, Gesundheitsbewusstsein und digitale Welt bedeutet Wertschöpfung für mich, Prozesse so zu organisieren, dass eine größtmögliche Effizienz mit bestmöglicher Ressourcenschonung erreicht wird. Darüber hinaus sollte wieder viel mehr Wert auf das Kriterium Qualität gelegt werden. Denn die Geschichte lehrt uns, dass sich Exzellenz immer durchgesetzt hat und Wertschöpfung dauerhaft so erst möglich wird. 

Wie lassen sich diese Verbrauchertrends auf der Fläche konkret umsetzen?
Hier sind schon Ansätze vorhanden, aber es reicht nicht, regionale Produkte bei Obst und Gemüse und das MSC-Siegel für Nachhaltigkeit in der Fischtheke aufzustellen. Verbraucher wollen zunehmend den Weg eines Produktes vom Feld bis ins Supermarktregal genau nachvollziehen können. Sie wollen nicht nur im Nachhinein erfahren, welche Lasagne sie besser nicht gegessen hätten. Sie wollen schon vor Betreten des Marktes, spätestens aber beim Kauf wissen, welche Qualität die Produkte haben und wo diese herkommen. Für mehr Transparenz brauchen wir vertrauenswürdige Informationen, die über die unterschiedlichen Kommunikationswege und Absatzkanäle hinweg verfügbar sind.

Welche Kriterien werden bei der Markenführung aus Ihrer Sicht an Bedeutung gewinnen?
Nach wie vor sehe ich das Thema Produkttransparenz in Verbindung mit der Verbraucherinformation als eines der Kriterien mit zunehmender Bedeutung: Die Forderung der Verbraucher nach Informationen über Herkunft, Herstellung und Inhaltsstoffe gekoppelt mit den vielfältigen, digitalen Wegen der Informationsbeschaffung treibt viele Hersteller und auch Händler in ein Dilemma: Der Verbraucher ist verunsichert, welche Informationen überhaupt vertrauenswürdig sind. Denn Medien und NGOs haben es sich zur Aufgabe gemacht, Händlern und Herstellern immer wieder bestimmte Unzulänglichkeiten nachzuweisen und diese medial entsprechend aufzubereiten. Handel und Industrie haben Schwierigkeiten, die geforderten Informationen zeitnah zu beschaffen. Und die Legislative erzeugt zusätzlichen Druck mit Verordnungen wie der LMIV. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Branche derzeitig.  

Wird sich das Vertrauen in die Marke ändern? Wenn ja, inwieweit und was hat dies für Konsequenzen?
Verbraucherwünsche können nicht mehr nur in Form von Imagekampagnen behandelt werden, da die weichen Imagefaktoren zunehmend durch harte Fakten, also umfassenden Produktinformationen beeinflusst oder ergänzt werden müssen. Der Verbraucher will das Versprechen seiner favorisierten Marken eingelöst wissen, und zwar kongruent auf allen Kanälen, offline wie online. Diese These bestätigt auch die Studie von GS1 Germany „The Shopper still rules“. So würden beispielsweise 50 Prozent der Verbraucher ein Lebensmittel bevorzugt kaufen, wenn sie mehr Informationen über das Produkt hätten. Über die Hälfte davon fordern Angaben zur Herkunft und würden sich ein entsprechend glaubwürdiges Gütesiegel wünschen.

Sollte die Marke durch die sich wandelnden Verbraucherbedürfnisse am Point of Sale anders inszeniert werden?
Fakt ist, dass die Verbraucherbedürfnisse sich ändern. Die Shopper interagieren mit ihrer Marke über Internet und Mobile, sie informieren sich über ihr Markenprodukt und hinterfragen es kritisch. Folglich muss gezielt auf Shopper Insights, Shopper Marketing und ein gutes Category Management gesetzt werden, das die Individualität des Marktes genauso berücksichtigt wie die Verbraucherbedürfnisse. Deshalb: Ja, die Inszenierung der Marke am Point of Sale wird sich verändern, da sich das Einkaufs- und  Informationsverhalten der Shopper verändert. Aber die Grundbedürfnisse sind letztlich immer die gleichen – egal, ob ich sie über mein Smartphone oder über den Tante-Emma-Laden um die Ecke decke.   

Inwieweit wird das Internet die Marke bzw. das Markenbewusstsein beeinflussen?
Seit dem Siegeszug der Smartphones treten mehr und mehr Verbraucher aktiv mit der Marke in Kontakt – mobil, jederzeit, an jedem Ort. Heute kommuniziert der Verbraucher von sich aus mit der Marke und fordert selbstbewusst die gewünschten Informationen.  Das verändert natürlich die Beziehung vom Verbraucher zum Markenprodukt. Die Konsumenten scannen Barcodes auf der Verpackung, um über mobile Apps mehr Informationen zu einem Produkt zu erhalten; sie recherchieren am heimischen PC über ihre Marke und holen Meinungen aus Foren und sozialen Netzwerken ein. Das ist zum einen eine große Herausforderung für Handel und Industrie, zum anderen liegt genau hier die Chance, den Verbraucher in seiner Markenloyalität zu bekräftigen und die Kaufentscheidung positiv zu beeinflussen.  

Das Internet bringt eigene Marken hervor, die etablierte Marken unter Druck setzen können. Wie können etablierte Marken sich gegen die neue Konkurrenz wappnen?
Chancen liegen hier in neuen Formen der Kooperation zwischen Herstellern und Händlern. Denn, es kommt darauf an, Fläche und Online effizient zu vernetzen. Wem es gelingt, den Marken-Onlineshop über Tablet oder Virtual Shelf als erweitertem Verkaufsregal in den Store einzubinden und im Gegenzug die Fläche als stationäres Aushängeschild zu platzieren und als dezentrales Lager für die Belieferung von Onlineshops zu nutzen, der wird künftig in der Lage sein, Kunden auch über verschiedene Kanäle zu binden. Einige sehr erfolgreiche Beispiele solcher Multichannel-Konzepte sehen wir bereits in der Fashion- und Schuhbranche.

Die Konsumwelt wird immer vielschichtiger und zunehmend auch vernetzter. Sprich: Die Food-Welt muss sich immer wieder neu erfinden. Tut sie das aus Ihrer Sicht?
Was wir brauchen, sind echte Innovationen. Der Kunde braucht nicht den 25-ten Flavour eines Produktes. Er erkennt, ob es eine echte Innovation mit Mehrwert ist oder nicht und wird seine Kaufentscheidung treffen. Meines Erachtens müsste das Thema gemeinsam von Handel und Industrie vorangetrieben werden. Hier sind die Potenziale für echte Innovationen.

Wo gibt es Ihrer Meinung nach noch neue technische Ansatzpunkte für den stationären Handel?
Es ist noch nicht gelungen, die richtigen Schlüsse aus zugrundeliegenden Daten von Kundenbindungsprogrammen und Kundenkarten zu ziehen. Zumindest wurden die Daten bisher noch nicht zielgerichtet genutzt, weil der Schwerpunkt oftmals zu lange auf dem Einkauf lag, anstatt sich mit den vorhandenen Daten inhaltlich auseinanderzusetzen und daraus Entscheidungen und Strategien abzuleiten. Aber ich habe das Gefühl, dass man sich wieder mehr mit den Kunden beschäftigt. Und das ist es, was am Ende des Tages zählt: die Ausrichtung aller Aktivitäten auf den Kunden. Erst dann wird man erfolgreich Herausforderungen wie Multichannel-Wettbewerb, gesetzliche Anforderungen und Verbrauchervertrauen meistern.

News

Foto: Stefanie Brückner

Vom 24. bis 25. April findet das 125. Markant Handelsforum statt. Zu erwarten sind neben zeitaktuellen Vorträgen und Innovationen für den POS auch ein praxisnaher Austausch.

Foto: Ben Pakalski

Tegut hat das Jahr 2023 mit einem Nettoumsatz von 1,28 Milliarden Euro abgeschlossen und damit das Ergebnis des Vorjahres um 2,44 Prozent übertroffen.

stock.adobe.com/Seventyfour

Nach einem Einbruch zu Jahresbeginn stabilisiert sich die Konsumstimmung in Deutschland jetzt wieder.

stock.adobe.com/Racle Fotodesign

In Österreich können biologische Lebensmittel trotz allgemeiner Teuerungen auf treue Verbraucher zählen.

Personalie

Jörg Pretzel, Geschäftsführer GS1 Germany „Der Verbraucher will das Versprechen seiner Marken eingelöst wissen und zwar kongruent auf allen Kanälen, offl ine und online. Diese These bestätigt
auch eine unserer Studien. 50 Prozent der Verbraucher würden Lebensmittel bevorzugt kaufen, wenn sie mehr Informationen über das Produkt hätten.“ www.gs1-germany.de