Branche im Wandel

Dienstag, 14. Juli 2020
Foto: Tönnies

Die Fleischbranche steht vor Reformen. Nachdem der Markt die Corona-Krise bisher gut verkraftet hat, sehen sich Markant Partner auch für die Zukunft gut positioniert.

Im Juni kam die Versorgungskette bei Schweinefleisch ins Stocken. Nach Covid-19-Infektionen in verschiedenen Schlachthöfen wurden diese stillgelegt. Allein bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück fiel über Nacht die Schlachtung und Zerlegung von 20 000 Schweinen pro Tag flach. Weil diese Kapazitäten nur sehr verzögert von anderen Standorten übernommenen werden konnten, baute sich in den Ställen der Landwirte ein Stau schlachtreifer Tiere auf und die Preise fielen von Woche zu Woche in Richtung 1,40 Euro (kg Schlachtgewicht). Es baute sich ein Überhang von fast 400 000 Tieren auf, der erst ab Ende Juli langsam abgebaut werden konnte.

Corona prägt das 2. Quartal

Anfängliche Befürchtungen, es könnte in der Grillsaison knapp werden mit Schnitzel, Bratwurst und Rippchen, erwiesen sich als unbegründet. Zum einen ist die Versorgungslage in Deutschland gerade bei Schwein mit einem Selbstversorgungsgrad von fast 120 Prozent (Jahr 2019) gut, wie die Zahlen der  Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) zeigen. Zum anderen ist der Lebensmittelhandel bei der Beschaffung flexibel genug, um punktuelle Lieferengpässe zu kompensieren.

Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, wurden in den ersten sechs Monaten 2020 in den gewerblichen Schlachtbetrieben in Deutschland 28,9 Millionen Schweine, Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde geschlachtet. Einschliesslich Geflügel erzeugten die Unternehmen knapp 3,9 Millionen Tonnen Fleisch. Damit sank die Fleischerzeugung gegenüber dem ersten Halbjahr 2019 um rund 0,6 Prozent beziehungsweise 22 100 Tonnen. Den Grund dafür sehen die Statistiker im Rückgang der Fleischproduktion im von der Corona-Krise geprägten zweiten Quartal 2020:  Die Schweinefleischmenge stieg im ersten Quartal noch um 1,2 Prozent (+15 900 Tonnen) gegenüber dem Vorjahr an, ging im zweiten Quartal aber um 3,3 Prozent (-42 100 Tonnen) zurück. Als «bemerkenswert» bezeichnet das Amt die regionalen Unterschiede: So stieg die Produktion im grössten Erzeugerland Niedersachsen im zweiten Quartal 2020 gegenüber dem Vorjahr um zwei Prozent auf 417 300 Tonnen und in Sachsen-Anhalt sogar um 12,9 Prozent auf 114 200 Tonnen. Im zweitgrössten Erzeugerland Nordrhein-Westfalen hingegen sank die Produktion um 9,8 Prozent auf 381 300 Tonnen. Diese Entwicklungen werten die Statistiker als Hinweis darauf, dass die Kapazitätsausfälle einzelner Schlachtbetriebe infolge der Corona-Pandemie Betriebe schnell von Betrieben in anderen Bundesländern übernommen wurden.

Keine Engpässe im Markt

Eine gute Versorgungslage während der Betriebsunterbrechungen bestätigen auch MARKANT Partner. «Wir haben keine Probleme bei der Beschaffung, was unser Fleisch angeht», sagt Christian Leuthner, Bereichsleiter Einkauf für Fleisch, Wurst, Fisch und Molkereiprodukte bei tegut. Auch Georg Recktenwald, Leiter Metzgerei Globus SB-Warenhaus, hatte keine Engpässe in der Eigenproduktion. «Im Gegensatz zur industriellen Herstellung arbeiten wir bei Globus mit ganzen Tieren und verwenden für unsere Eigenproduktion ausschliesslich Frischfleisch», so Recktenwald. Dafür wird der Markt täglich frisch mit Rindervierteln und Schweinehälften beliefert. Die Zerlegung und Verarbeitung zu Wurst- und Fleischwaren erfolgt direkt im Markt von eigenen Metzgern. Rinder bezieht Globus aus dem französischen Charlux-Programm, und Schweine stammen aus einem belgischen Familienbetrieb, mit dem man bereits seit mehr als 50 Jahren zusammen arbeitet.

Bei Kaufland kommt der Rohstoff für die eigenen Fleischbetriebe von zertifizierten Schlachtbetrieben in ganz Deutschland. Auch von dem betroffenen Standort von Tönnies in Rheda wurden Rohstoffe bezogen, «die wir aus aktuellem Anlass problemlos auf andere Lieferanten umgestellt haben», so eine Unternehmenssprecherin.

Nach den Corona-Fällen in Fleischbetrieben hat die Bundesregierung schärfere Regeln für die Branche auf den Weg gebracht. Damit sollen die Arbeitsbedingungen verbessert werden. In einem Kabinettsbeschluss vom 20. Mai 2020 ist geplant, dass Werkverträge ab dem 1. Januar 2021 und Leiharbeit ab dem 1. April 2021 verboten sein sollen. Ausgenommen sind Handwerksbetriebe mit bis zu 49 Mitarbeitern. Eingeführt werden sollen ausserdem eine Pflicht zur elektronischen Arbeitszeiterfassung, Mindestanforderungen für Gemeinschaftsunterkünfte und eine Mindestquote für Arbeitsschutzkontrollen, da nach Ansicht der Regierung Betriebe zu selten kontrolliert werden. Ab 2026 sollen jährlich mindestens fünf Prozent der Betriebe Besuch von den Behörden bekommen.

Der Verband der Fleischwirtschaft e. V. (VDF) betont, dass er die wesentlichen Eckpunkte des Beschlusses mittragen werde. VDF-Hauptgeschäftsführerin Dr. Heike Harstick. «Wir möchten diese Regelungen und das Verbot von Werkverträgen in den Kernbereichen der Fleischwirtschaft umsetzen.» Der Verband kritisiert allerdings, dass die zentrale Vorschrift zum Verbot von Werkverträgen «sehr uneindeutig gefasst» sei und «massiv in die gesellschaftsrechtlichen Strukturen der Unternehmen» eingreife. Kooperationen und Gemeinschaftsunternehmen würden damit «faktisch verboten». Je nach Auslegung wären auch Lohnschlachtungen oder Markenfleischprogramme, bei denen mehrere  Unternehmen in der Kette zusammenarbeiteten, in der heutigen Form nicht mehr möglich. «Das alles hat mit Arbeitsschutz absolut nichts zu tun», so Harstick.

Die VDF-Chefin sieht darüber hinaus aufgrund des höheren Verwaltungsaufwands und möglicherweise zusätzlicher finanzieller Aufwendungen für die Mitarbeiterwerbung die Gefahr steigender Kosten und Preise. Vor steigenden Kosten in der Erzeugung und entsprechend höheren Preisen für Geflügelfleischerzeugnisse warnt auch der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft ZDG – und erwartet, «dass Lebensmitteleinzelhandel und Verbraucher die Bereitschaft zeigen, diese Kosten zu übernehmen».

Leiharbeit ist Knackpunkt

In welcher Form auch immer die geplanten Regelungen vom Gesetzgeber beschlossen werden – Lebensmittelhändler sehen sich dafür gut positioniert. Kaufland hat im Juni bereits neue Wege eingeschlagen und mit seinen Frischfleisch- und Frischgeflügel-Lieferanten vereinbart, spätestens ab Januar 2021 auf Werkverträge mit Dritten in den Kernprozessen Schlachtung, Zerlegung sowie Verpackung zu verzichten. «Damit setzen wir ein wichtiges Zeichen für mehr Verantwortung und bessere Arbeitsbedingungen in der Lieferkette», so das Unternehmen. Unabhängig von der geplanten gesetzlichen Regelung haben sich laut Kaufland auch bereits mehr als 90 Prozent der Lieferanten verpflichtet, auf Werkverträge zu verzichten. Kaufland selbst hat schon vor einigen Jahren in seinen Fleischwerken begonnen, auf Werkverträge zu verzichten. Die letzten zwei Verträge werden aktuell (Stand August 2020) umgestellt. Ab Januar 2021 wird es bei Kaufland keine Werkverträge in der Fleischproduktion mehr geben. Allen Mitarbeitern, die bisher im Rahmen von Werkverträgen beschäftigt waren, bietet Kaufland unbefristete Arbeitsverträge an.

Die aktuellen Diskussionen über das Thema Arbeitsschutz verfolgt man auch bei tegut und will als Konsequenz daraus die Ausweitung der Fleisch-Eigenmarkenprogramme weiter forcieren. Bereits heute führt tegut über 60 Prozent seines Fleisch-Angebots mit seinen Eigenmarken «tegut…LandPrimus» und «tegut…Bio». Hinsichtlich des anstehenden Verbots von Leiharbeit und Werkverträgen erwarte man aber keine Änderungen bei seinen Eigenmarken, so Einkaufsleiter Christian Leuthner. Auch Globus schaut seinen Lieferanten auf die Finger: In dem belgischen Schweinemastbetrieb seien ausschliesslich eigene Mitarbeiter angestellt.

Ganz spurlos würde das geplante Gesetzespaket aber auch am Handel nicht vorbei gehen. Wie in der übrigen Fleischbranche wäre vor allem ein Verbot der Leiharbeit ein Problem. Das sieht sieht man auch bei Kaufland so: «Sollte ausser den Werkverträgen auch Leiharbeit verboten werden, handelt es sich selbstverständlich um tiefgreifende Änderungen, auf die wir in der Fleischproduktion reagieren müssen.»

News

Foto: Stefanie Brückner

Vom 24. bis 25. April findet das 125. Markant Handelsforum statt. Zu erwarten sind neben zeitaktuellen Vorträgen und Innovationen für den POS auch ein praxisnaher Austausch.

Foto: Ben Pakalski

Tegut hat das Jahr 2023 mit einem Nettoumsatz von 1,28 Milliarden Euro abgeschlossen und damit das Ergebnis des Vorjahres um 2,44 Prozent übertroffen.

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Nach einem Einbruch zu Jahresbeginn stabilisiert sich die Konsumstimmung in Deutschland jetzt wieder.

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In Österreich können biologische Lebensmittel trotz allgemeiner Teuerungen auf treue Verbraucher zählen.

Info

Deutschland als Fleischexporteur

Deutschland…

  • exportiert Fleisch und Fleischwaren in 120 Länder der Erde
  • produziert 5,2 Mio. t Schweinefleisch (ist damit Europameister)
  • exportiert 2,8 Mio. t Schweinefleisch
  • produziert 1,1 Mio. t Rind-/Kalbfleisch (ist damit Vizeeuropameister)
  • exportiert 363 000 t Rind-/Kalbfleisch
  • produziert 1,6 Mio. t Geflügel
  • exportiert 760 000 t Geflügel

Quelle: German Meat GmbH, 2020

Info

Neue Hygienekonzepte für Schlachtbetriebe

Direkt nach dem Ausbruch von Corona in Schlachtbetrieben hat Prof. Dr. Martin Exner vom Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit der Universität Bonn wissenschaftlich darauf hingewiesen, dass die in der Zerlegung zirkulierende Umluft der entscheidende Grund dafür gewesen ist, dass das Virus sich in einige Bereichen verbreitete und ein Massenausbruch zustande kommen konnte.

Auf Basis dieser Erkenntnisse hat unter anderem die Tönnies Gruppe ein erweitertes Hygienekonzept realisiert und konnte daraufhin mit behördlicher Genehmigung schrittweise die Produktion in Rheda-Wiedenbrück wieder öffnen. Dieses Hygienekonzept. wurde mit Fachleuten aus Behörden und wissenschaftlichen Experten konkretisiert und in Begehungen und Tests im Werk überprüft.

Kern des Konzeptes sind dezentrale HEPA-Filtrationsgeräte (High Efficiency-Particulate Airfilter / Schwebstofffilter), die in der Zerlegung installiert wurden. Sie tauschen die Luft 2,5 Mal pro Stunde aus und reduzieren die im Raum zirkulierende Umluft von potenziell eingetragenen Viren.

Zum erweiterten Hygienekonzept zählen darüber hinaus wöchentliche Reihentestungen für alle Produktionsmitarbeiter am Werkseingang, ein Adressmanagement zur betrieblichen Rückverfolgung der Beschäftigten, eine strikte Trennung von Mitarbeitern verschiedener Produktionsabteilungen bei Kantinenaufenthalten, mehr Schulungen und Kontrollen der Abstandsregelungen.