Systematisch Reserven heben

Montag, 27. März 2023
Foto: garetsworkshop

In der aktuell schwierigen Konsumphase rückt im Handel die Produktivität noch stärker in den Fokus. Wo die typischen Schwachpunkte entlang der Retailprozesse liegen, offenbaren Analysen von JdV Retail.

Selbst in noch so gut organisierten Unternehmen gibt es in jeder Filiale zahlreiche individuelle Stellschrauben für die Optimierung der Prozesse», heisst es bei Jurjen de Vries Retailmanagement & Efficiency (JdV) mit Sitz in den Niederlanden und Deutschland. JdV Retail stützt seine nunmehr 40-jährige Expertise auf empirische Untersuchungen im europäischen Einzelhandel. Rund zwölf Millionen relevante Sichtungen in tausenden Supermärkten, Drogeriemärkten und anderen FMCG-Kanälen bilden die in Europa einzigartige Datenbasis für Benchmarks und Prozessstandardisierungen auf den Flächen.

Es geht um Sekunden
Burkhard Fischer, Manager DACH bei JdV, erläutert dem Markant Magazin anhand von Daten und Fallbeispielen aus dem europäischen Einzelhandel einige der brachliegenden Potenziale und Ansatzpunkte in der Filiale, um die Produktivität und Rentabilität zu verbessern. Vornehmlich sind diese in der Planung und der Arbeitsorganisation zu finden. Den strukturellen Ansatz zeigt er mit einem Rechenbeispiel auf Basis von ermittelten Werten: Ein Supermarkt mit einem durchschnittlichen Artikelwert von zwei Euro realisiert einen Nettogewinn von zwei Prozent. Das entspricht einem durchschnittlichen Nettogewinn von vier Cent je Artikel. Die Lohnkosten betragen durchschnittlich 23,40 Euro je eingesetzte Arbeitsstunde beziehungsweise 0,65 Cent pro Sekunde. Wenn dieser Markt die Effizienz der Handlungen je Artikel – in der gesamten Lieferkette – um sechs Sekunden steigern könnte, dann steigt der Gewinn je Artikel von zwei auf 3,9 Cent, verdoppelt sich also beinahe. Benötigt der Markt aber sechs Sekunden mehr durch ineffizientes Handling, dann ist der Gewinn weg. Fischer: «Mit gesamter Lieferkette ist der komplette Prozess vom Zentrallager über den Transport zum Markt bis hin zu allen Tätigkeiten im Markt gemeint.»

Verblüffende Unterschiede
Auf Basis der im Einzelhandel gewonnenen Benchmarks kennt JdV die typischen Performance-Bremsen auf den Flächen und identifiziert per Storecheck die entsprechenden Parameter, filialübergreifend und filialspezifisch. Die Methoden der empirischen Datenerhebung haben die Funktion, Ausschnitte der Realität, die in einer Untersuchung interessieren, möglichst genau zu beschreiben oder abzubilden. In der Datenbank sind mehr als 1000 Aktivitäten hinterlegt. Fischer skizziert die oft verblüffenden Performance-Unterschiede einzelner Vorgänge an einem Praxisbeispiel: In der beobachteten Filiale dauert die Abwicklung eines Einkaufswagens mit 20 Artikeln und 30 Euro Warenwert 115 Sekunden. Bei einem anderen Vorgang werden 35 Artikel im Warenwert von 72 Euro in 130 Sekunden abgewickelt, obwohl am Check-out sogar noch fünf Frische-Artikel gewogen wurden. Es zeigte sich, dass zwei Ereignisse den ersten Kassiervorgang ausbremsten: Zum einen die Barzahlung, die zehn Sekunden länger dauerte als die Kartenzahlung im zweiten Fall. Zum anderen konnte ein Artikel nicht gescannt werden, so dass eine Nachfrage nötig war, die 40 Sekunden in Anspruch nahm. Hier schliesst sich dann die Untersuchung an, ob die Nicht-Scanbarkeit von Artikeln die Ausnahme ist, etwa wegen eines zerkratzten EAN-Codes. Oder ob es ein generelles Problem darstellt, weil regelmässig ein Teil der Ware, etwa Nonfood-Aktionsartikel, nicht codiert ist. So banal solche Verzögerungen an der Kasse auf den ersten Blick aussehen: In der Summe der Kassiervorgänge über alle Filialen schlagen sie spürbar zu Buche.

Qualität darf nicht leiden
Interessant sind auch die Analysen in den Obst- und Gemüseabteilungen. Auch hier wird zunächst die Frage geklärt, wie viel Arbeit in der einzelnen Filiale jeweils tages- und stundengenau anfällt, welche Unterschiede es zwischen den Filialen gibt und wo die Ursachen dafür liegen. Priorität hat hier aber die Unternehmenspolitik – und nicht unbedingt das Kostendiktat. Vor allem bei Vollsortimentern bildet die O+G-Abteilung das Aushängeschild in Abgrenzung zum Wettbewerb. Entscheidend für die (arbeitsintensive) Organisation ist deshalb die strategische Zielsetzung: hoher Servicegrad und Sortimentskompetenz, keine Out-of-Stocks und Warenverfügbarkeit bis Ladenschluss, Nachfüllen, Frischekontrolle und Pflege der Präsentation mehrmals am Tag. All das hat im Supermarkt im Sinne maximalen Kundennutzens Priorität, gleichwohl gibt es kostenwirksame Ansatzpunkte zur Optimierung der Abläufe, ohne dass die Qualität leidet und die Mitarbeiter mehr belastet werden. «Unser Ansatz ist es, im Hinblick auf eine kundenorientierte Organisation Kostenoptimierung und Qualitätsansprüche in die richtige Balance zu bringen», so Fischer.

Wertschätzung der Mitarbeiter
Hier kommt das Workload-Management von JdV ins Spiel. Die Kernelemente sind aktivitätenbasierte und volumengesteuerte Bedarfsorientierung und Optimierung. In der Regel werden Einsatzpläne in den Filialen auf Basis einer konstanten Produktivitätskennzahl erstellt und miteinander verglichen. Laut Fischer ist die Produktivität aber eine Variable, die durch das Einkaufsverhalten, die Kaufkraft und andere Standortgegebenheiten und nicht zuletzt die Effizienz der Prozesse bestimmt wird. Damit kann sich der Arbeitsaufwand ständig ändern, und somit muss sich auch der Mitarbeitereinsatz in Form der PEP anpassen. Eine grosse Chance liegt auch darin, die individuellen Talente der Mitarbeiter richtig zu nutzen, was nach Beobachtung von JdV zu selten geschieht. Es steigert nicht nur die Effizienz, sondern ist auch ein Zeichen der Wertschätzung, die Mitarbeiter so einzusetzen, dass sie den grössten Mehrwert bringen.

Auf den Kunden fokussieren
Eine spürbare Entlastung des Personals bei immer wiederkehrenden Arbeitsroutinen verspricht in vielen Fällen die Optimierung und Standardisierung der Prozesse von der Anlieferung bis ins Regal. Selbst in gut organisierten Unternehmen stösst JdV immer wieder auf Schwachstellen, die unnötig lange Wege, umständliche Arbeitsabläufe und überflüssige körperliche Belastungen nach sich ziehen. Dazu werden in den Filialen und Lagern zusammen mit den Mitarbeitern systematisch Checklisten mit relevanten Kriterien erstellt. In der aktuellen Phase mit Inflation und preissensiblem Konsum hält JdV es für «enorm wichtig, sich bei der Optimierung zunächst auf diejenigen zu konzentrieren, die die Existenz sichern – die Kunden». Fischer: «Alles, was den Kunden ärgert oder nervt, muss eliminiert werden. Und alles, was das Einkaufen zu einem positiven Erlebnis macht, gilt es zu exzellieren. Danach kann sich auf die optimale Ausführung der Prozesse konzentriert werden.»

 

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Statement

Unser Ansatz ist es, im Hinblick auf eine kundenorientierte Organisation Kostenoptimierung und Qualitäts-ansprüche in die Balance zu bringen.
Burkhard Fischer, Manager DACH bei JdV

JdV

Einzelhandel ist der Kern, um den sich alles bei Jurjen de Vries Retailmanagement & Efficiency dreht. Seit 1980 arbeitet JdV aus den Niederlanden und seit 2014 aus der Niederlassung in Deutschland für nationale und internationale Einzelhandelsketten und -unternehmer. Gemeinsam mit den Auftraggebern werden die Vertriebsprozesse, Lohnkosten und Produktivität strukturell in Relation zu der geforderten Qualität verbessert. Dabei stützt sich JdV auf eine umfangreiche Datenbank mit Benchmarks und Prozessstandards und hat starke Tools für die Umsetzung entwickelt. Einen Schwerpunkt bilden neue Ansätze bei Arbeitseinsatz, Effizienz, Personalkostenmanagement und Workforcemanagement (WFM) auf strategischem, taktischem und operationellem Niveau.

Research

Die Analysen von JdV weisen typische Schwachstellen in den Filialprozessen aus – und Wege zur Optimierung.

  • Führungskräfte in den Filialen führen zu oft Tätigkeiten aus, für die sie eigentlich zu teuer sind. Deshalb sollten sie in die Lage versetzt werden, Aufgaben zu delegieren und individuelle Fähigkeiten der Mitarbeiter in den Einsatzplänen zu berücksichtigen.
  • Talente  werden nicht ausreichend genutzt. Deshalb Mitarbeiter nach Möglichkeit so und dort einsetzen, dass sie den grössten Mehrwert bringen.
  • Arbeitsprozesse  und (Check-)Listen sind ineffizient und nicht standardisiert. Lösung: Werkzeuge haben einen festen Platz (kein ständiges Suchen mehr).
  • Am Lager  Schnelldreher im schnellen Zugriff, nach Gängen vorsortiert.
  • Übergabe(-protokolle) bei Schichtwechsel: Bestellen, MHD-, OoS- und Frische-Kontrolle übergeben beugt doppelter Arbeit vor.
  • Störungen beim Leergut, z. B. durch Stau auf den Bändern, mit proaktiver Wartung vermeiden.
  •  Out-of-Stocks reduzieren durch regelmässig am Kundenstrom angepasstes Nachfüllen und durch Optimieren des Bestellprozesses. Falls Artikel nicht bestell- bzw. lieferbar: Fächer neu bestücken oder für bestimmte Artikel vergrössern. JdV empfiehlt, mindestens tägliche OoS-Zählung je Bereich, optimalerweise nach dem Frachtverräumen.
  • Zu hohe Warenbestände  führen zu Überproduktion bei Frische, unnötigem Handlingsaufwand und hohen Abschreibungen. Abhilfe schafft das Einführen von Kennzahlen wie z. B. Restwaren-/Übervorratsquote. Damit kann der Bestellprozess kontrolliert, beurteilt und verbessert werden.