Intelligente Hebel zur Retouren-Vermeidung

Donnerstag, 12. November 2020
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Die Deutschen schicken pro Jahr fast 500 Millionen online bestellte Artikel zurück, sie sind damit vermutlich «Retouren-Weltmeister». Wo die Ursachen hierfür liegen, haben Experten erstmals im Detail untersucht – und zeigen auch Lösungsansätze auf.

Rund 280 Millionen Pakete und 487 Millionen Artikel wurden 2018 in Deutschland retourniert. Das hat die Forschungsgruppe «Retourenmanagement» der Universität Bamberg ermittelt. Retouren im OnlineHandel sind ein viel diskutiertes, jedoch bisher weitgehend unerforschtes Feld. «Die politische und öffentliche Debatte wird oft ohne belastbare Fakten und valides Zahlenmaterial geführt», kommentiert der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel e. V. (bevh) die Situation. Auch herrsche bei vielen Menschen «der Irrglaube vor, dass retournierte Artikel ausnahmslos nach ihrer Rücksendung vernichtet würden». Um hier Klarheit zu schaffen, hat der bevh wesentliche Aspekte der Retourenthematik von Hochschulen, Instituten und E-Commerce-Experten aus dem deutschsprachigen Raum untersuchen lassen. Involviert waren die Otto-Friedrich-Universität Bamberg, die Hochschulen Darmstadt, Niederrhein und Wedel, das EHI Retail Institute und ibi research an der Universität Regensburg GmbH. Die Ergebnisse wurden im November 2020 im «Retourenkompendium» veröffentlicht. «Damit wollen wir die Debatte und den akademischen Diskurs fördern, Antworten finden und vor allem Lösungen entwickeln,» sagt bevh-Präsident Gero Furchheim.

Retouren werden zum Politikum

Retouren stellen nicht nur aus Kostengründen eine Herausforderung für Online-Händler dar, sondern auch, weil sie von einer immer breiter werdenden Öffentlichkeit zudem als «Klimakiller» angesehen werden. Diese Politisierung der Retourenthematik erfordert Aufklärungsarbeit auf der einen Seite, aber auch Hilfestellung für betroffene Online-Händler auf der anderen Seite. Insofern war es an der Zeit, sich der Thematik umfassend anzunehmen. «Das Retourenkompendium des bevh ist in dieser Hinsicht revolutionär und zugleich einzigartig», sagt Prof. Dr. Gerrit Heinemann, Leiter des eWeb Research Center der Hochschule Niederrhein und Mitherausgeber des Kompendiums.Heinemann skizziert die Brisanz der aktuellen Situation: «Die Deutschen sind wahrscheinlich Retouren-Weltmeister. In wohl keinem anderen Land lassen Kunden so viele Waren zurückgehen wie in Deutschland.» Im Durchschnitt und je nach Warengruppe wird jedes achte bis jedes fünfte im Internet bestellte Paket wieder zurückgeschickt. Zwar sind die Retouren für Kunden meist kostenfrei – vor allem bei den grossen Online-Händlern. Amazon, Otto, Zalando & Co. holen sich aber einen Teil der Kosten vom Kunden zurück, entweder durch höhere Preise, Prime-Mitgliedschaftsbeiträge oder Versandgebühren. Insofern bezahlt jeder Kunde die Retouren zumindest indirekt durch höhere Marktpreise mit.

Jede Retoure zieht enormen Aufwand und hohe Kosten nach sich

Gleichwohl belasten Retouren die Margen der eCommerce-Händler, da nicht alle Kosten abzuwälzen sind. Eine Retourensendung kostet im Schnitt fast zwanzig Euro, die Hälfte davon allein durch den Transport. Immerhin: Die meisten retournierten Artikel werden direkt wieder als A-Ware verkauft, und nur knapp vier Prozent landen im Müll. «Dennoch muss alles einmal gesichtet, bewertet und aufbereitet werden», erklärt die Studie. «Der Aufwand ist enorm, und auch die Diskussion über die Belastung für die Umwelt wird zunehmend eine Herausforderung für die Online-Händler sowie die Logistikbranche.»
Die Streuung zwischen den unterschiedlichen Produktkategorien ist beachtlich: Während der Durchschnitt aller Retourenquoten rund 20 Prozent beträgt, werden bei Nahrungs- und Genussmitteln deutlich weniger als zehn Prozent retourniert. Auch Bücher und Medien, Consumer Electronics sowie DIY und Gartenbedarf liegen unter zehn Prozent. In den Kategorien Drogerie und Parfümerie, Spielwaren und Babyartikel sowie Wohnen und Einrichten erreichen sie hingegen schon fast 20 Prozent. Spitzenreiter sind Sport und Freizeit mit 30 Prozent sowie Fashion und Accessoires mit fast 40 Prozent. Die Studie geht sehr ins Detail und zeigt zum Beispiel, dass bei Fashion-Produkten für Frauen die Retourenquoten nach Stückzahlen rund 25 Prozent und «wertmässig wahrscheinlich eher 50 Prozent» über denen der Männer liegen. Abgesehen von den Prozesskosten tritt auch ein Wertverlust ein, da sich die Ware zum Teil nicht mehr als Neuware verkaufen lässt, wie das EHI 2019 in einer Studie in der DACH-Region ermittelt hat.

Prävention ist der Schlüssel zum Erfolg

Zielgerichtetes Retouren-Management stellt also nicht nur einen wesentlichen Erfolgsfaktor, sondern auch einen unmittelbaren Renditehebel dar. Im Grunde geht es bei den in der Praxis erfolgreichen Massnahmen um «präventives Retouren-Management», so eine wesentliche Erkenntnis der Forschungsarbeit. Das wirksamste Mittel gegen überhöhte Retourenquoten ist offenbar eine detaillierte Produktbeschreibung und -darstellung. Rund 83 Prozent der Online-Anbieter sehen in dieser Methode den stärksten Hebel. «Und doch wird hier häufig am falschen Ende gespart», so die Autoren der Studie. «Viele Online-Shops knausern bei den Produktfotos und wundern sich dann, dass die Retourenquoten hochschnellen.»

Auch ein schneller Versand reduziert sehr effektiv die Retouren. Nicht selten verliert der Kunde die Begeisterung für das Produkt, wenn die Zustellung zu lange dauert, oder hat das Geld bereits anderweitig ausgegeben, wenn sie endlich ankommt. Adressprüfungen stellen ebenfalls eine wichtige Massnahme dar. An dieser Stelle verweist die Studie auf das CRM (Customer-Relationship-Management) als Basisfaktor des Online-Handels: «Gerade durch die enormen Investitionen in die Kundengewinnung sollte die permanente Pflege und Aktualisierung der Kundenadressen als selbstverständlich erachtet werden.» Eine weitere Möglichkeit zur Vermeidung von Retouren besteht in der Veröffentlichung von Kundenrezensionen. In Kombination mit Grössen- und Passformfiltern ist es so leichter, die passende Konfektionsgrösse zu finden und die richtige Auswahl zu treffen. Die Otto Group wertet zum Beispiel die Retourenscheine ihrer Kunden aus und greift dazu auf ein Algorithmus-Tool von Blue Yonder zurück, um Prognosen zu berechnen und Gegenmassnahmen anzudenken. Einige Online-Händler bieten bestimmten Kunden auch an, erst einmal nur eine Grösse zu schicken und gegebenenfalls eine andere kostenlos nachzureichen. Komplettiert wird das Retouren-Management mit Massnahmen wie Prüfung auf Vollständigkeit, recherchieren der Retourengründe, Sortimentsbereinigung oder Kommissionier-Qualität.

Retouren sind auch eine Chance

Trotz aller Probleme: Retouren sind auch eine Chance, nämlich für Zusatzkäufe. Hier sind die stationären Händler in der Pole Position, die ihren Kunden neben der Warenabholung per Click&Collect auch einen Retourenservice in der Filiale anbieten. Das Retourenkompendium zitiert hierzu einen namhaften Modefilialisten, dessen Online-Kunden zu 80 Prozent ihre Retouren in die Filialen zurückbringen – und dabei im Schnitt zwei bis drei neue Artikel kaufen.

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