Hybride Einkaufswelten mit Erlebnisfaktor

Montag, 27. März 2023
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Junge Menschen sind immer Trendsetter und Early Adopter von Entwicklungen und Veränderungen. Was sich so in einer Gesellschaft festsetzt, kommt irgendwann auch bei den Älteren an. Für den Handel ist es daher gut zu wissen, was die Generationen Y und Z so bewegt.

«Auf dem Weg in ein neues Jahrtausend und in ein digitales Zeitalter erleben wir gerade unglaublich viele Krisen und permanente Ereignisse, die aufploppen», sagt Dr. Steffi Burkhart. Die Expertin der Millenials Generation Y und Generation Z weiss, dass man zukünftig nicht einfach aus dem Modus der Erfahrung heraus weitermachen kann. Denn mittlerweile befinden wir uns in einer Welt, die sich als VUKA-Realität bezeichnen lässt. Dieses Akronym steht für Volatibilität (Schwankungen), Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenz (Mehrdeutigkeit). Einflussfaktoren, die auch die Lebensmittelbranche betreffen. Wie teuer werden die Waren etwa morgen sein? Wie wird sich der Kunde verhalten, wenn Energiepreise steigen und das Benzin teurer wird? «Der grösste Unsicherheitsfaktor ist die Politik, neue Gesetze etwa. Oder Kriege. Und je globaler die Welt wird, desto komplexer wird sie. Was auf der anderen Seite der Erde passiert, hat einen unmittelbaren Einfluss auf uns», erläutert Dr. Burkhart. Man denke an Lieferketten, die plötzlich zusammenbrechen. Zudem mache es das Nebeneinander verschiedener Meinungen und Expertisen allen immer schwieriger, darauf aufbauend Entscheidungen zu treffen. «Daher ist es für die einzelnen Branchen wichtig, immer wieder kreativ neue Lösungen zu finden.»

Infotainment rund ums Essen
Durch die zunehmende Individualisierung sind die Menschen heute so einsam wie selten. Auch an der Generation Z ist die Corona-Zeit nicht spurlos vorbeigegangen. «Viele haben im Lockdown in einem Raum gearbeitet, gesocialized, gegessen und geschlafen – nicht immer eine gute Entwicklung. Waren wurde nach Hause geliefert, was sich viele auch heute weiterhin wünschen.» Gleichzeitig möchte man sich im eigenen Heim nun aber auch gut unterhalten und alles andere als allein fühlen. Für die Lebensmittelbranche könnte das den Trend zu «Home-Eatertainment» bedeuten. «Im Zeitalter der Attention Economy geht es darum, Experiences zu gestalten: Was können Sie in Ihren Stores, aber auch bis ins Zuhause der Kunden hinein anbieten? Produkte und Waren werden vorausgesetzt. Immer relevanter wird, welche Services rund um die Produkte für den Endkunden aufgespannt werden.»

Die Erlebnisökonomie ist dabei von vier Sphären geprägt: Dazu gehören Unterhaltung und Bildung (Education): Lebensmitteleinzelhändler können sich zum Beispiel fragen, was sie Kunden vor Ort vermitteln und beibringen können. Wo kommt das Produkt her und welche Rezepte kann man mit der Ware umsetzen? Im Bereich der Ästhetik beschäftigt man sich damit, wie Supermärkte aufgebaut und gestaltet werden. Und auch die Realitätsflucht spielt eine Rolle: «Im Zusammenhang mit dem dreidimensionalen Internet, dem Metaversum, geht es darum, Kunden in Welten eintauchen zu lassen, von denen sie heute noch keine Ahnung haben.» Wer auf diesen erlebnisökonomischen Ansatz einzahlen möchte, könnte unter anderem mit Livestreams direkt aus dem Stall (tierwohl.tv) arbeiten. Supermärkte mit Farming-Konzept sind ein weiteres Beispiel.

Verzahnung von real und virtuell
«Es braucht eine Best Customer Experience in einer friktionsfreien Journey, die im Lebensmittelbereich genauso umgesetzt werden muss wie in anderen Handelsindustrien auch», verdeutlicht Dr. Burkhart nochmals. Dabei gehe es um hybride Realitäten aus analogen und digitalen Welten, deren Erfolg von der smarten Kombination menschlicher und technologischer Intelligenz abhänge: gut geschultem Personal einerseits, aber etwa auch Apps.

«Wir haben es bei der Generation Z mit Kunden zu tun, die extrem viel Wert auf Selbstoptimierung legen – auch in dem Kontext, gesunde Ware und gesundes Essen zu konsumieren.» Das ökologische und soziale Bewusstsein sei hier extrem stark ausgeprägt. Die Generation Z sei ein Treiber von veganen Lebensmitteln. Zudem nutzen die Jungen die Macht des Internets, um bottom-up neue Mikrobewegungen entstehen lassen, die ganze Institutionen und Geschäftszweige disruptiv ausser Kraft setzen können. «Diese Mikrobewegungen werden wir zukünftig auch in der Lebensmittelbranche erleben können», prognostiziert Dr. Burkhart. Daher sei es wichtig, skandalfreie und nachhaltig gute Produkte auf den Markt zu bringen.

Die Erwartungshaltung junger Kunden, Produkte, Dienstleistungen und Services on demand jetzt sofort und unmittelbar zur Verfügung zu haben, fordere auch die Lebensmittelindustrie: per Klick Ware nach Hause zu liefern, aber per Klick auch gleichzeitig zu vermitteln, was das Produkt ausmacht, wo es herkommt oder über welche Inhaltsstoffe es verfügt. «In der Zukunft geht es für den Handel darum, Menschen in Erlebniswelten abtauchen zu lassen, um sie abzuholen und für sich zu begeistern.»

Die Expertin

Dr. Steffi Burkhart forscht und spricht aus der Sicht der Generation Y und Generation Z über die Zukunft der Arbeit und den gesellschaftlichen Wertewandel. Sie setzt sich für die Bedürfnisse und Wünsche der Millennials-Generationen ein: die unter 35-Jährigen. Dr. Steffi Burkhart ist Jahrgang 1985 und gehört damit selbst zur Generation Y. Sie hat sich schon früh für die bio-psycho-soziale Gesundheit von Menschen und Organisationen interessiert. Nach dem Abitur studierte sie Sportwissenschaften an der Deutschen Sporthochschule Köln, wo sie 2013 im Bereich Gesundheitspsychologie promovierte.

Seit 2015 ist Dr. Steffi Burkhart selbstständig und macht sich für ihre Generation in Politik und Wirtschaft stark. 2016 veröffentlichte sie das Buch: «Die spinnen, die Jungen! Eine Gebrauchsanweisung für die Generation Y» Mit ihren Impulsvorträgen erreicht sie mittlerweile Aufmerksamkeit in der gesamten deutschsprachigen Wirtschaft. Denn sie kennt deren Pain-Points: dass es in ihrer digitalen Transformation an talentierten Nachwuchskräften, an digitalen Könnern und dem nötigen Millennials Mindset fehlt. Hier möchte sie mit Inhalten und Impulsen ansetzen (https://steffiburkhart.com). 2021 erschien ihr Sammelwerk «Be water my friend – Was Menschen, Teams und Organisationen von den Eigenschaften des Wassers lernen können, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern».

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Places of Work and Living

Die Corona-Pandemie hat den gesellschaftlichen Wandel noch beschleunigt. Seither arbeiten die Menschen an vier verschiedenen Orten: First-Place im Home-Offfice, Second-Place im Büro, Third-Place überall anders, also etwa im Zug oder Park, oder Fourth-Place im virtuellen Raum.

«Das Büro, in das man geht und in dem man im klassischen Sinne arbeitet, wird sich verändern. Wir werden hier einen Point of Experience erleben. Immer mehr Unternehmen fragen sich, wie sie ihre Offices so aufwerten können, dass die Menschen freiwillig in die Büros kommen», so Dr. Steffi Burkhart. Es gehe darum, die Belegschaft weiterzuentwickeln und Erlebnisse zu bieten. Auch im Lebensmittelbereich müsse man im Second-Place of Work experimentieren, zum Beispiel Cooking-Events anbieten oder mit den jungen Mitarbeitern Erlebnisse teilen, die nicht unbedingt direkt etwas mit der Arbeit zu tun haben. «Dieser Second-Place of Work muss ganz anders gestaltet werden als noch vor der Corona-Zeit.» Auch der virtuelle Raum werde sich weiterentwickeln. Hier werde man nicht nur vor dem Laptop sitzen und miteinander kommunizieren «Es entsteht ein Metaversum – dreidimensionale Welten, die kreiert werden und Einfluss darauf haben, wie wir zukünftig arbeiten und interagieren.»

Verliert die Erlebnisökonomie mit der Energiekrise und Inflation womöglich an Bedeutung? Bei den jüngeren Generationen eher nicht, meint Dr. Burkhart: «Junge Leute sind offener und bereiter, mehr Geld für Lebensmittel auszugeben, weil sie auf die Selbstoptimierung setzen. Wenn ich es also schaffe, hybride digitale und analoge Erlebniswelten aufzubauen, kann ich der Inflation ein Stück begegnen und höhere Margen abrufen.»

Buchtipps

Die spinnen, die Jungen! Eine Gebrauchs-anweisung für die Generation Y
Respektlos, verwöhnt, faul, neugierig, fordernd oder flexibel. Die Meinungen über die Generation Y gehen weit auseinander. Wie die Jungen wirklich ticken, hinterfragt Steffi Burkhart in «Die spinnen, die Jungen! Eine Gebrauchs-anweisung für die Generation Y». Mit diesem Buch möchte sie mit stereotypen Vorurteilen aufräumen und liefert ein wissenschaftlich untermauertes Plädoyer dafür, dass man die Generation Y nicht unterschätzen sollte – hilfreich auch für Führungskräfte und Personaler.
Herausgeber: ‎GABAL; 2. Auflage (25. Februar 2016)
ISBN:
978-3869366913

Be water, my friend
Das Buch versteht sich als Inspirations-quelle für alle, die sich mit der Zukunft der Businesswelt beschäftigen und Antworten auf Fragen unserer Zeit wünschen. Dabei wird darauf eingegangen, wie die sechs Phänomene Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambivalenz, Digitalisierung und Zukunftstechnologie eine neue Arbeits- und Geschäftswelt erschaffen. Für diesen Titel konnte Dr. Steffi Burkhart Persönlichkeiten wie Fussball-Weltmeister Per Mertesacker oder Zukunfts- und Trendforscher Matthias Horx als Mit-Autoren gewinnen.
Herausgeber: ‎ Vahlen; 1. Edition (25. April 2021)
ISBN: ‎978-3800662302