Die Arbeitswelt der Zukunft

Montag, 27. Februar 2023
Foto: Christian O. Bruch

Richard David Precht zeigt uns, wie die Veränderung der Arbeitswelt unser Leben, unsere Kultur, unsere Vorstellung von Bildung und letztlich die ganze Gesellschaft verändert. Aber auch, welche enormen Gestaltungsaufgaben auf die Politik zukommen, insbesondere beim Umbau des Sozialsystems hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen.

Welche Bereiche beziehungsweise Branchen in der Arbeitswelt sind von der digitalen Revolution besonders betroffen?
Richard David Precht:
Vor allem dort, wo geistige Routinearbeit verrichtet wird. Das betrifft Branchen zum Beispiel wie Banken, Versicherungen, überall dort, wo im komplexen Stil Daten verarbeitet werden. Das wird insgesamt der Bereich sein, in dem relativ viel automatisiert wird.

Wer sind aus Ihrer Sicht die Gewinner der digitalen Revolution?
Richard David Precht:
Es gibt insgesamt vier Bereiche, die Gewinner der digitalen Revolution auf dem Arbeitsmarkt sind. Das ist der Bereich Spitzen-IT. Der zweite Bereich ist der Bereich des quartären Sektors, das sind die höchstrangigen Dienstleistungsberufe, also komplexe Management- und Logistikaufgaben. Der dritte Bereich, der zu den Gewinnern gehört, ist das Handwerk. Die Roboter werden den Handwerkern die Arbeit nicht wegnehmen, allerhöchstens erleichtern. Und der vierte Bereich, und das ist mit Abstand der grösste, ist der Bereich der Empathie-Berufe, also jener Bereich, wo Menschen Wert darauf legen, mit Menschen zu tun zu haben.

Was kann der Mensch besser als die Computer?
Richard David Precht:
Computer können sehr gut Leistungen in Spezialbereichen geben, aber sie sind keine grossen Generalisten. Wenn es darum geht, komplexe Informationen aus den unterschiedlichen Bereichen miteinander zu verknüpfen, bleibt der Mensch noch für lange Zeit überlegen. Das ist der Grund, warum sich Philosophen und auch Top-Manager keine Sorgen um die Zukunft machen müssen.

Welche Skills sind in der Arbeitswelt der Zukunft besonders wichtig?
Richard David Precht:
Wenn ich in der Lage bin, künstliche Intelligenz zu programmieren, dann werde ich auch in der Zukunft gebraucht. Und das andere sind eben all diese Skills oder Fähigkeiten, die mit Emotionen zu tun haben. Hierzu zählt der ganze Bereich des Coachings, der Lebensberatung in medizinischer Hinsicht, in Ernährungsfragen, in Sportfragen.

Wie bewerten Sie das Problem Fachkräftemangel?
Richard David Precht:
Der Begriff Fachkräftemangel ist überholt. Wir haben einen Arbeitskräftemangel. Jemand, der im Café kellnert, ist ja eigentlich keine Fachkraft, das kann ja auch der Student in seiner Aushilfszeit machen. Aber auch der fehlt. Es gibt auch Bereiche wie zum Beispiel das Handwerk, wo es ein handfestes Problem gibt, da keiner mehr Handwerker werden will. Wir haben auch sehr viele, die vor der Corona-Pandemie in der Gastronomie, am Flughafen in der Gepäckabfertigung oder Gepäckkontrolle gearbeitet haben und heute in einer Verwaltung Aufgaben übernommen haben. Das wird jedoch nicht dauerhaft so sein.

Warum nicht? Wo liegt die Problematik?
Richard David Precht:
Die Verwaltungen sind sehr träge darin, sich zu digitalisieren, aber sie werden digitalisiert werden. Langfristig wird da die Arbeit weniger. Und dann werden dort sehr viele Kräfte freigesetzt, die im Prinzip woanders eingesetzt werden können. Aber nicht jeder, der vorher in der Verwaltung gearbeitet hat, möchte nachher Animateur werden oder ist besonders geeignet für die Altenpflege. Deswegen gehen sehr viele Ökonomen davon aus, dass die realistische Zukunft ein Mismatch ist. Das heisst, wir werden zwar ungefähr gleich viele Leute haben, die auf dem Arbeitsmarkt fehlen und diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, aber das wird nicht genau ineinanderpassen. Das ist das grösste Problem.

Wie lässt sich das Problem lösen?
Richard David Precht:
Es lässt sich am ehesten natürlich durch Veränderungen im Bildungssystem lösen. Dass wir zu wenig Handwerker haben, ist auch eine Folge unserer Schulen. Handwerkliche Fähigkeiten spielen in unseren Schulen fast keine Rolle. Es gibt keinen Leistungskurs im Gymnasium, bei dem handwerkliche Fähigkeiten besonders belohnt werden. Und das können wir nicht weiterhin so machen. Für die grossen und vielen Handwerksaufgaben der Zukunft müssen wir ein anderes Bild von handwerklichen Tätigkeiten entwickeln als das, was wir in der Gesellschaft haben, und das könnten die Schulen leisten.

Wie sieht Entlohnung in der Zukunft aus?   
Richard David Precht:
Der Grund, warum das bedingungslose Grundeinkommen vermutlich irgendwann eingeführt wird, ist nicht die Entlohnungsfrage, sondern die Rentenfrage. Dadurch, dass die geburtenstarken Jahrgänge alle in Rente gehen, gibt es viel mehr Rentner und weniger Arbeitende. Wir müssen neue Geldquellen erschliessen, über die wir die Nichtarbeitenden finanzieren. Dass wir quasi über diesen Weg zu einer Art Grundrente kommen werden. Und über die Grundrente werden wir dann sukzessive mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch zu einer Art Grundeinkommen kommen. Ich rede jetzt aber über Prozesse der nächsten Jahrzehnte, da ist nichts, was in den nächsten fünf Jahren ansteht.

Wie kann das Ganze finanziert werden?
Richard David Precht:
Dies sehe ich in einer Mikrosteuer. Das heisst, dass jede Form von Geldfluss mit einem Minimalbetrag an Steuern versehen wird. Da reichen vielleicht 0,3 oder 0,4 Prozent aus. Das würde dann bedeuten, dass es an den Börsen, da wäre natürlich der grösste Kuchen zu holen, sowas Ähnliches wie Finanztransaktionssteuern gibt. Damit könnte schon mal eine ganze Menge Geld abgeschöpft und generiert werden.

Wo sehen Sie noch einen Ansatzpunkt?
Richard David Precht:
Eine andere Quelle bestünde darin, dass man Unternehmensgewinne zur Massgabe der gesamten Besteuerung macht. Heute muss ein Unternehmen Lohnnebenkosten bezahlen und dazu gehört auch die Sozialversicherung. Ich möchte, dass das reduziert wird. Das heisst, dass dadurch Arbeit günstiger wird. Wenn aber grosse Gewinne erwirtschaftet werden, muss auf die Gewinne höhere Steuern gezahlt werden. Das hat zur Folge, dass eine Maschine indirekt genauso besteuert wird wie ein Mensch, da es egal ist, ob Menschen die Arbeit erbringen oder Maschinen, entscheidend ist, wie viel am Ende dabei rumkommt. Das ist eine sehr starke Veränderung, das nennt sich Wertschöpfungsabgabe.

Was sind die Hürden für die Einführung eines Grundeinkommens?
Richard David Precht:
Bei uns hängen die Transferleistungen an dem Arbeitsbegriff. Deswegen ist es für uns schwierig, uns auf eine Grundeinkommensgesellschaft mental vorzubereiten. Die Idee des Grundeinkommens gibt es schon seit Jahrhunderten. Jetzt ist es langsam ein gesellschaftliches Thema. Und dann dauert es nochmal zehn, zwanzig Jahre, bis das in jedermanns Kopf richtig drin ist.

Inwieweit wird die digitale Revolution die Gesellschaft und damit den Konsum verändern? Sie sagen,  es findet eine gigantische Transformation von einer Erwerbs- hin zu einer Sinngesellschaft statt. Was heisst das konkret?
Richard David Precht:
Die Frage über die letzten Jahrhunderte lautete «Wie kann ich meinen Lebensstandard steigern». Heute ist die entscheidende Frage: «Wie habe ich ein möglichst gutes Leben?» Der Wohlstand ist ja nur noch ein Teil davon, die Gesundheit spielt vielmehr eine grosse Rolle. Dass ich von allzu grossen Lebensrisiken verschont werde, dass das wie ich lebe nicht auf Kosten des Lebens meines eigenen Lebens im Alltag geht oder des Lebens meiner Kinder, weil es nicht nachhaltig genug ist. Deswegen spreche ich von der Sinngesellschaft, weil das für die meisten Menschen, die heute jung sind, wichtiger ist als eine rein wirtschaftliche Steigerung, also als ein rein ökonomisches Mehr.

Hat Ihrer Meinung nach die Gesellschaft die Perspektive verloren?
Richard David Precht:
Ja, wir wollen mindestens so viel haben wie jetzt, möchten aber nicht den ökologischen Preis dafür bezahlen. Wir wollen vom Leben mehr als früher. Wir wollen eine glückliche, erfüllte Liebesbeziehung haben. Das war vor hundert Jahren überhaupt kein Thema. Wir wollen uns gesund ernähren. Das war noch vor fünfzig Jahren kaum ein Thema. Wir wollen fit sein. Das ist ein Thema der letzten dreissig Jahre. Wir wollen Zeit für unsere Freunde haben und nicht nur arbeiten, ein Thema der letzten zwanzig Jahre. Das sind alles Ansprüche der Sinngesellschaft.

Wird dadurch der nachhaltige Konsum zunehmen?
Richard David Precht:
Die Anzahl der Menschen, die sich Gedanken über die Nachhaltigkeit des Konsums machen, steigt. Aber es ist auch ein Schichtenproblem. In den hart arbeitenden Unterschichten spielt dies eine untergeordnete Rolle. Übrigens ist es auch in den Luxus-Oberschichten kein Thema. Leute, die dreissig oder fünfzig Mal im Jahr fliegen, die machen sich darüber auch meistens keinen Kopf. Das ist eigentlich ein klassisches Mittelschichtthema.

Wie lautet denn Ihre Prognose für die nächsten drei bis fünf Jahre?
Richard David Precht:
Ich glaube, dass die Globalisierung weitergeht, dass auch der Handel mit China weitergehen wird und dass sich die Europäer in den wichtigen Wirtschaftsfragen nicht werden abschotten können, sondern dass die Strafe, die sie dafür bezahlen müssten, ein enormer Verlust an Wohlstand wäre. Es gibt einen schönen Satz des Schriftstellers Robert Musil, der mal gesagt hat: «In der Geschichte der Menschheit gibt es kein freiwilliges Zurück.» Und ich denke das ist so. Also ich glaube, dass all die Prozesse, die vor den Krisen der letzten zwei, drei Jahre ein grosses Thema waren, zunehmende Globalisierung, Digitalisierung und so weiter, dass diese Prozesse weitergehen werden.

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Steckbrief

Richard David Precht, geboren 1964, ist Philosoph, Publizist, Autor und einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. Er ist Honorarprofessor für Philosophie an der Leuphana Universität Lüneburg sowie Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Seit seinem Erfolg mit «Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?» waren alle seine Bücher zu philosophischen oder gesellschaftspolitischen Themen grosse Bestseller und wurden in mehr als vierzig Sprachen übersetzt.

Buchtipp

Freiheit für alle: Das Ende der Arbeit wie wir sie kannten

Nichts, was die Arbeit anbelangt, ist heute mehr selbstverständlich. Das zweite Maschinenzeitalter selbstlernender Computer und Roboter revolutioniert unseren Arbeitsmarkt. Es definiert neu was «Arbeit» ist, und wozu wir eigentlich noch arbeiten. Schon seit einiger Zeit arbeiten wir in den westlichen Industrieländern nicht mehr, um unsere Existenz zu sichern. Wir arbeiten, um zur Erwerbsarbeitsgesellschaft dazuzugehören.

Doch wenn »Vollbeschäftigung« nicht mehr der Jackpot ist, den es zu knacken gilt, sondern »Selbstverwirklichung«, dann ändern sich die Lose in der Tombola: Arbeit zu haben wird nun nicht mehr automatisch als Glückszustand bewertet, denn es kommt immer stärker auf die Qualität und die genauen Umstände des Arbeitens an. Aus der Erwerbsarbeitsgesellschaft, wie wir sie bisher kannten, wird eine Sinngesellschaft. Eine gigantische Transformation, und sie ist längst im Gange.

  • Herausgeber: ‎Goldmann Verlag; Originalausgabe Edition (14. März 2022)
  • Gebundene Ausgabe: ‎544 Seiten
  • ISBN-13: 978-3442315512