Abbrecher mit Potenzial

Dienstag, 14. April 2020
Foto: mauritius images

Abiturienten strömen an die Unis und verlassen sie vorzeitig ohne Abschluss. Schlummern in der Zielgruppe Studienabbrecher potenzielle Nachwuchskräfte für den LEH? Unbedingt, sagen die Experten.

ast ein Drittel der deutschen Studienanfänger verlässt vorzeitig die Uni, dies­ geht aus einem Bericht des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) hervor. Die ausschlaggebenden Gründe hierfür sind Leistungsprobleme (zu viel Studien- und Prüfungsstoff, Studienanforderungen waren zu hoch) mangelnde Selbstmotivation (falsche Erwartungen in Bezug auf das Studium, Desinteresse an den Berufen, die das Studium ermöglicht), aber auch der fehlende Berufs- und Praxisbezug des Studiums ist ein Motiv für den Studienabbruch. Ein halbes Jahr nach dem Abbruch befinden sich 43 Prozent der Ex-Studenten in einer Berufsausbildung, lediglich acht Prozent davon in einem Handelsberuf, zu dem Berufe im Lebensmittel­einzelhandel (LEH) zählen. Ein ausbaufähiger Prozentsatz, sollte man in Anbetracht des anhaltenden Fachkräftemangels im LEH meinen. Aber warum sind Studienabbrecher überhaupt attraktiv für den Handel? Wer seine praktische Begabung erkannt habe, begreife eine Aus- und Fortbildung im Handel als gute Option, meint Thorsten Fuchs, Schuldirektor der Food Akademie Neuwied. Die Bundesfachschule des Lebensmittelhandels steht für Fort- und Weiterbildung im Lebensmittelhandel. Der Wille, praktisch zu arbeiten, persönliche Reife und die bewusste Reflektion über die angestrebte Karriere sind Eigenschaften, die Studien­abbrecher für den Handel besonders interessant machen. Und mit denen sie sich von anderen Bewerbern zumeist deutlich positiv unterscheiden, wie Experten der IHK und Handelsverbände beobachten. Klingt, als könnten Studienabbrecher die idealen Fachkräftekandidaten für den Handel sein. «Sind sie auch», sagt Carsten Berg, stellvertretender Geschäftsführer Aus- und Weiterbildung der IHK Köln.

Prädestiniert für den LEH

Ihrer Karriere im LEH steht aber dennoch einiges im Wege. Karriere – es ist das entscheidende Stichwort für viele junge Menschen, die sich mithilfe ihres Studiums den Weg zu einer zumeist gehobenen Position ebnen wollen. Was kann ihnen dagegen eine Berufsausbildung im Handel bieten? «Viele wissen erst einmal überhaupt nichts über Ausbildungsinhalte und die zügigen Aufstiegsmöglichkeiten, die es gerade im Handel über Ausbildungen gibt», sagt Berg. «Vor allem aber sehen gerade Studienabbrecher einen Ausbildungsweg zunächst als Eingeständnis ihres Scheiterns an, nicht als Karriereöffner.»

Wissenslücken und Selbsteinschätzungen dieser Art versuchen zahlreiche Initiativen von Kammern, Verbänden und auch Arbeitsagenturen zu schliessen und aufzulösen. Websites wie zum Beispiel «jetztschonprofi.de», «zweifel-am-studium.de» oder «umsteigen-koeln.de» bieten Aufklärung und Beratung an. Zahlreiche Handelsunternehmen bestätigen, über einen crossmedialen Mix an Massnahmen oder über Messeauftritte auf Ausbildungswillige zuzugehen. Die direkte Kontaktaufnahme gehört ebenfalls zum Recruiting. ­

Willkommen, Studienabbrecher!

MARKANT Partner Globus spricht nach eigenen Angaben beispielsweise gezielt Studenten an Hochschulen an und zeigt ihnen Möglichkeiten der Karrierewege auf. Karrierewege, die etwa mit einem ­Dualen Studiengang starten können oder mit dem sogenannten Abiturientenprogramm. Nahezu alle Handelsunternehmen bieten diese praxis­orientierte Aus- und Fortbildung an, mit der innerhalb von drei Jahren die Qualifikation zum Handelsfachwirt und Ausbilder erworben werden kann.

Handel und Studienabbrecher, sie sind füreinander interessant. Ansätze gibt es, doch wie kommen die Seiten optimal zusammen? Ex-Studenten kommen per se etwa für ein Abiturientenprogramm in Frage. Das heisst nicht, dass sie sich auch angesprochen fühlen. Die gezielte Formulierung, sie quasi «willkommen» zu heissen, ist laut den Experten der Verbände und Kammern wichtig, um sie für sich zu gewinnen. Und: ­Interessant wird ein ­Arbeitgeber für einen «Bewerber mit Studienerfahrung», wenn er individuell mit einem Karriereplan, mit fachlichen wie persönlichen Qualifizierungsmöglichkeiten angeworben wird. Schliesslich müsse man verstehen, dass es sich nicht um «normale Azubis» handele, sondern um Bewerber, die von Beginn an Verantwortung übernehmen wollen, so Thorsten Fuchs, Schuldirektor der Food Akademie Neuwied. Als geeignete Plattformen zur Anwerbung zählen die Präsenz an den Hochschulen, Mitteilungen an die Agenturen für Arbeit, die eigenen Anzeigenformate sowie Webauftritte – und die Nutzung der ­Social-Media-Kanäle. ­Deren Vorteil: Nachfragen von Bewerbern können zeitnah erfolgen und vermitteln so unmittelbar einen Eindruck, bei wem und auch wie die Stellenausschreibung ankommt.

News

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Vom 24. bis 25. April findet das 125. Markant Handelsforum statt. Zu erwarten sind neben zeitaktuellen Vorträgen und Innovationen für den POS auch ein praxisnaher Austausch.

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Info

Gründe für die Aufnahme einer Berufsausbildung bei Studienabbrechern

Inhaltliche Gründe
Hier steht der Wunsch nach praktischer Tätigkeit an erster Stelle (84 %), gefolgt von fachlichem Interesse am konrekten Ausbildungsberuf (82 %).
 
Perspektivische Gründe
Ein sicherer Arbeitsplatz (76 %) und gute Karrieremöglichkeiten (53 %) sind für die Aufnahme einer Berufsausbildung die Triebfedern.

Persönliche Gründe
Die Nähe zum Wohn-/Heimatort (64 %) sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit (56 %) zählen zu den relevanten persönlichen Motiven.

Pragmatische Gründe
Möglichst schnell Geld zu verdienen (33 %) und eine kurze Ausbildungsdauer (29 %) wurden von den Studienabbrechern als Anlass für die Aufnahme einer Ausbildung genannt.