„Das Essen wird wieder zelebriert“

Freitag, 03. Oktober 2014
Fotos: Zukunftsinstitut GmbH

Das Essverhalten wird immer differenzierter, viele verschiedene Foodtrends beginnen sich zu überlagern. Hanni Rützler über mächtige Konsumenten und die neue Lust auf DIY.

Frau Rützler, welche Rolle spielt der Konsument beim Kauf von Lebensmitteln?
Der Konsument wird – vor allem getrieben durch das Internet – immer mächtiger. Ganz besonders  im Food-Bereich erleben wir heute eine neue Dynamik, die das hierarchische Verhältnis zwischen Produzenten und Konsumenten, zwischen Retail und Kunden, zwischen Ernährungsexperten und Essern aufbricht und einen Austausch auf Augenhöhe ermöglicht. Noch ist der Handel der wichtigste Akteur, aber der Konsument bekommt mehr und mehr Mitspracherecht.

Welche Folgen hat diese Entwicklung?
Über das Internet können auch kleinere Unternehmen am Markt teilnehmen, die sich häufig schneller auf veränderte Konsumentenbedürfnisse einstellen als die großen Unternehmen. Ein weiteres Beispiel: der immer größer werdende Free-from-Markt. Diese Produkte sind eine Reaktion der Industrie und des Handels auf die wachsende Kritik an Zusatzstoffen in verarbeiteten Lebensmitteln, forciert von Verbraucherschutz- und Non-Profit-Organisationen wie Food Watch.

In Deutschland muss Essen oft nur noch schnell gehen. Wie wichtig sind den Verbrauchern hochwertige Produkte überhaupt noch?
Wir haben  uns lange Zeit wenig mit dem Thema Essen auseinandergesetzt, das ist richtig. Aber: Das Interesse am Essen steigt wieder. Es gibt immer mehr ernährungsinteressierte Menschen, die ihr Essen regelrecht zelebrieren. Ich nenne diese Menschen gerne „ Foodies“. Diese sind hochinformiert,  tauschen sich stark untereinander aus und sind immer auf der Suche nach qualitativ hochwertigen Lebensmitteln.

Sie sprechen sich gegen das Wegschmeißen von Lebensmitteln aus. Wie schätzen Sie die momentane Entwicklung ein?
Bislang wird fast die Hälfte aller Lebensmittel weggeworfen. Das ist nicht zukunftsfähig. Außerdem kann es nicht der richtige Weg sein, die Verbraucher lediglich dazu aufzufordern, ihre Reste aufzuessen. Hier sind allen voran auch Produktion und Handel gefragt. In Österreich gibt es bereits einige Ketten, die bei Obst und Gemüse auch zweitklassige, also nicht genormte Ware verkaufen – etwa über Aktionen. Diejenigen Händler, die solche Produkte – in Österreich auch „Wunderlinge“ genannt – anbieten, merken schnell, dass diese beim Kunden ankommt. Der Verbraucher will zuallererst Produkte, die gut schmecken. Auf das Aussehen kommt es ihm eigentlich nicht an.

Was ist in Ihren Augen der größte Foodtrend unserer Zeit?
Für den deutschsprachigen Kulturraum ist das in meinen Augen die Differenzierung. Das Essverhalten wird sich immer weiter differenzieren, verschiedene Foodtrends werden sich dabei überlagern. Dadurch entstehen auch differenziertere, teilweise auch nischige Produkte – nicht nur bei den Spezialitäten sondern selbst bei Grundnahrungsmitteln.

Sie haben soeben Ihren Foodreport 2015 herausgebracht. Was sind Ihre neuesten Erkenntnisse?
Ich habe den Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe auf die vier Trends „Hybrid Food“, „Soft Health“, „DIY-Food“ und „Food Pairing“ gelegt. Hybrid Food bedeutet, dass das Mixen, Mischen und Kreuzen global weiter zunimmt. Dadurch entstehen neue Markenprodukte, aber auch neue  Gastronomiekonzepte, wie beispielsweise der „Cronut“ – ein Hybrid aus Croissant und Doughnut – oder Supermärkte, in denen man einkaufen, kochen und essen kann. Food Pairing heißt: weg von eingefahrenen Geschmacksmustern, hin zu neuen Aroma-Paarungen. Der Trend gründet sich auf wissenschaftlichen Geschmacksanalysen und wird insbesondere im Snack-Bereich eine immer wichtigere Rolle spielen. Soft Health besagt, dass gesundes Essen nicht mehr zwangsläufig für Verzicht stehen muss. Das zeigt sich etwa an den veganen und vegetarischen Küchen, die gleichermaßen gesund wie wohlschmeckend sind. Ausgelöst durch den Vertrauensverlust gegenüber der Nahrungsmittelindustrie zeichnet sich auch ein Do it yourself-Trend bei der Herstellung von Nahrungsmitteln ab. Versorgungskochen gibt es nicht mehr, stattdessen überwiegt eine neue und völlig freiwillige Lust am kreativen Selbermachen, die sich beispielsweise in Form von immer mehr Back-und Koch-Blogs im Internet zeigt.

Stichwort Onlinehandel: Sehen Sie hier in Zukunft eine Bedrohung für den stationären Handel?
Der Onlinehandel mit Lebensmitteln wächst, aber nur sehr langsam. Besonders bei frischen Produkten wie beispielsweise Obst ist der Versand noch immer eine große Herausforderung. Allerdings lässt sich in den USA schon beobachten, dass der Onlinehandel stärker wächst, seitdem Verbraucher in den Städten kaum mehr parken können. Dieser Faktor könnte langfristig auch in Deutschland eine Rolle spielen. Denn eines steht fest: Mit den Digital Natives wächst derzeit eine Generation heran, die beispielsweise keine Buchläden mehr kennt und regelmäßig in Onlineshops bestellt.

Es sieht für stationäre Händler also düster aus?
Nein, ich glaube an die Zukunft des stationären Handels. Händler, die es richtig anstellen, können für den Kunden eine richtige Inspirationsquelle sein. Das setzt allerdings voraus, dass der Handel weniger den Preis fokussiert sondern vielmehr auf Emotionen und Inspirationen setzt, eine Vorauswahl für seine Kunden trifft  – und sich stärker spezialisiert. 

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Personalie

Hanni Rützler, Ernährungswissenschaftlerin und Future-Food-Expertin
Die österreichische Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler zählt zu den Vordenkern in Sachen Future Food. Im Jahr 2005 grü ndete sie das Future-Food-Studio in Wien. Rützler veröffentlichte bereits zahlreiche Publikationen zum Thema. www.futurefoodstudio.at

 

Buchtipp

Der Food Report 2015 von Hanni Rützler informiert über die neuesten Food-Trends.

Hanni Rützler wirft im Food Report 2015 einen Blick auf wichtige Entwicklungen, die die Esskultur nachhaltig prägen werden. Außerdem legt Rützler in ihrer Studie einen Schwerpunkt auf den Fleischkonsum und analysiert mögliche Alternativ-Szenarien für eine proteinreiche Nahrung in der Zukunft.

ISBN 978-3-938284-86-5
Preis 125 Euro