Wege durchs Dickicht

Dienstag, 06. Juni 2017
Foto: S. Brückner, T. Schindel

Per Gesetz und mit 25 neuen Verordnungen regelt die Schweiz den Umgang mit Lebensmitteln. Die MARKANT informiert ihre Partner aus Industrie und Handel über alle relevanten Details und unterstützt außerdem durch Datenservices sowie individuelle Beratungen.

Der „Rostige Paragraph“ wird in der Schweiz jährlich für besonders bürokratische Regulierungen verliehen. Im Jahr 2016 ging der Spottpreis an das neue Schweizer Lebensmittelrecht. Nach mehrjährigen Beratungen trat das Gesetz am 1. Mai 2017 in Kraft und regelt auf vorerst mehr als 2.000 Seiten, was bei der Produktion und beim Handel mit Lebensmitteln, aber auch mit kosmetischen Produkten und Gebrauchsgegenständen zu beachten ist. 

Die Eidgenossen gaben der Gesetzesinitiative den Projektnamen LARGO – in der Musik wird damit die Tempovorschrift des ruhigen 3/2- oder 3/4-Taktes bezeichnet. In gemäßigtem Tempo, mit Sinn für Details und unter Einbindung von Wirtschaft, Verbrauchern und Verbänden ist so ein umfangreiches Gesetzeswerk entstanden, mit dem sich Produzenten, Händler und Importeure auseinandersetzen müssen. „Und zwar umgehend und intensiv, weil das Gesetz den Unternehmen in verschiedenen Bereichen lediglich eine Übergangsfrist von einem Jahr offenlässt“, sagt Jos Lanen, Geschäftsführer der MARKANT Syntrade Schweiz AG. Die Ländergesellschaft der MARKANT hat daher eine erste Informationstagung zum Thema durchgeführt und dazu am 12. Mai ausgewiesene Experten nach Luzern geladen. Mehr als 200 Industrie- und Handelspartner der MARKANT Syntrade wollten deren Vorträge hören. „Die hohe Teilnehmerzahl zeigt den Bedarf an präziser Information“, so Jos Lanen in seiner Eröffnungsrede.

Informationstagung mit mehr als 200 Teilnehmern

Zu den Top-Experten gehörte Dr. Judith Deflorin, Leiterin des Fachbereichs Marktzutritt im Schweizer Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) und an der Entstehung des neuen Lebensmittelrechts mit beteiligt. „Das Schweizer Recht an das Lebensmittelrecht der Europäischen Union angleichen, notwendige Regelungen formulieren und präzisieren, gleichzeitig aber Flexibilität bewahren sowie die Selbstkontrolle der Unternehmen stärken“: So beschreibt Dr. Judith Deflorin die Intention und die Philosophie des neuen Gesetzes. Sehr kontrovers diskutiert wurden im Rahmen der Erarbeitung unter anderem die obligatorische Nährwertdeklaration, die Herkunftsdeklaration sowie die Dreisprachigkeit der Angaben auf den Verpackungen. In diesen Bereichen wurden ursprünglich vorgesehene Detailregelungen abgeschwächt beziehungsweise flexibilisiert. Auch wurde das so genannte Positiv-Prinzip aufgegeben, nach dem alle Lebensmittel im Verordnungsrecht umschrieben waren oder bewilligt werden mussten – nach dem neuen Recht können nun alle Lebensmittel, die sicher sind und den gesetzlichen Vorgaben entsprechen, ohne explizite Genehmigung auf den Markt gebracht werden, mit Ausnahme von neuartigen Lebensmitteln (Novel Food). „Insgesamt ist das Lebensmittelrecht sicherlich nicht 100 Prozent befriedigend für alle, aber die Beteiligten haben ihr Bestes gegeben, um die Quadratur der Kreise aufzulösen“, resümiert Dr. Judith Deflorin. Nach ihrer Wahrnehmung haben sich inzwischen Proteste und Einwände deutlich abgeschwächt, wird das Gesetz „nicht mehr als das Monster wahrgenommen, als das es im Laufe des Verfahrens dargestellt wurde.“

Deklaration von Nähwerten jetzt verpflichtend

Über einige wesentliche Änderungen speziell bei der Kennzeichnung vorverpackter Lebensmittel berichtete Martina Stock, Lebensmittelchemikerin bei der AGU GmbH & Co., Beratungsgesellschaft für Umwelt- und Qualitätsmanagement. So wird mit dem neuen Verordnungsrecht zum Beispiel die Schriftgröße für obligatorische Angaben auf der Verpackung fest vorgegeben. War die Deklaration von Nährwerten bislang freiwillig, ist sie seit dem 1. Mai verpflichtend – allerdings mit Ausnahmen zum Beispiel bei Kaffee, Obst und Gemüse, Fruchtsalaten und alkoholischen Getränken. In der Schweiz kann weiterhin zwischen „kleiner“ und „großer“ Nährwert-Deklaration gewählt werden – im Gegensatz zu den Vorschriften innerhalb der europäischen Union. Abweichende Vorschriften gibt es auch bei den Herkunftsangaben von Zutaten. „Das neue Schweizer Recht weist zwar keine hundertprozentige, aber eine hohe Deckungsgleichheit mit den Regelungen der europäischen Lebensmittelinformations-Verordnung auf“, erklärt Martina Stock. Für die korrekte Umsetzung der neuen Kennzeichnungsvorschriften wurde den Unternehmen eine Übergangsfrist bis zum 1. Mai 2021 eingeräumt.

Deutlich weniger Zeit bleibt für Anpassungen beim Offenverkauf und beim Fernabsatz, nämlich nur bis zum 1. Mai 2018. Ob Obst und Gemüse, Feinkost- und Müsli-Bar, vorverpackte Salate zum unmittelbaren Verkauf, offene Süßwaren oder Fisch- und Fleischwaren aus der Bedientheke: Hier müssen dem Verbraucher zwar prinzipiell dieselben Informationen zur Verfügung gestellt werden wie bei vorverpackter Ware – allerdings reicht es aus, wenn die meisten Infos mündlich gegeben werden können. Nur spezielle Angaben, wie die Herkunft von Fleisch, müssen schriftlich bereitgestellt werden. „Beim Offenverkauf gibt es keine tiefgreifenden Änderungen gegenüber den bisherigen Regelungen – die eigentliche Herausforderung für den Handel dagegen bringen die neuen Informationspflichten beim Fernabsatz“, erklärte Julia Ommert, ebenfalls von der AGU, auf der Syntrade-Tagung. Denn dazu gab es in der Schweiz bislang keine speziellen Vorgaben – mit dem neuen Gesetz sind die Unternehmer jedoch schon ab Mai 2018 gehalten, beim Angebot von Lebensmitteln im Internet, Katalogen oder ähnlichem exakt dieselben, Produktkennzeichnungen bereitzustellen wie beim Verkauf am Point of Sale.

Neue Informationspflichten beim Fernabsatz

Im Detail aufgeschlüsselt, anhand von Checklisten übersichtlich präsentiert und über konkrete Beispiele erläutert werden die neuen gesetzlichen Vorschriften auf der von der MARKANT gelaunchten Website www.one-globe.info. Bernhard Delakowitz, Leiter Marketing und Zentrale Dienste Ware International der MARKANT AG, stellte auf der Syntrade-Tagung das vielfältige Informationsangebot auf diesem Portal vor. MARKANT-Partner können sich anmelden und über Recherchefunktionen beziehungsweise Volltext-Suche ihren konkreten Informationsbedarf decken. Und zum Beispiel vorgegebene Stichworte zu bestimmten Themengebieten markieren, um sich über Push-Mails immer über aktuelle Entwicklungen unterrichten zu lassen. „Wir werden das Informationsangebot auf www.one-globe.info kontinuierlich vertiefen, in Kürze auch eine Version in französischer Sprache bereitstellen, das Thema E-Learning forcieren und außerdem ein Monitoring-System für das produktrelevante Risiko- und Qualitätsmanagement aufbauen“, kündigte Delakowitz an.

Nicht nur Information, sondern auch geldwerte Rationalisierungseffekte bietet der ZAS-Datenservice der MARKANT AG. Denn: Eine Verordnung zum Fernabsatz verlangt, dass die Lebensmitteldeklarationsdaten „zum Zeitpunkt des Anbietens der Ware“ vollumfänglich dem Konsumenten zur Verfügung stehen müssen – zum Beispiel im Online-Handel. Zudem hat sich das Einkaufsverhalten bei Lebensmitteln in den vergangenen Jahren enorm verändert. Die Konsumenten setzen sich zunehmend bewusster mit den konsumierten Produkten auseinander. „So sind ausführliche Produktinformationen die Basis, für alle digitalen Prozesse im Handel, um mit mehr Transparenz Kaufimpulse zu setzen“, erklärt Claudia Vetsch verantwortlich für den Datenservice ZAS bei der MARKANT Syntrade Schweiz AG. Weiter fügt Vetsch hinzu: „Der Datenservice ZAS schafft mit dem elektronischen Datenaustausch die Voraussetzung, damit auf Industrie- und Handelsseite diese großen Datenmengen überhaupt zeitnah verarbeitet werden können“. 

Zentraler Artikelstamm (ZAS) soll Datenbündelungseffekt schaffen

Fakt ist: Die Datenmenge, welche zur Verfügung gestellt werden muss, nimmt zu. Daher wird es laut der Expertin nicht mehr möglich sein, diese manuell zu erfassen. Bei einer manuellen Erfassung spielt der Zeitfaktor nicht nur eine Rolle, auch die Fehlerquote ist hoch. Damit könne die Aktualität und somit auch die Datenqualität nicht gewährleisten werden. „Mit dem Zentralen Artikelstamm verfolgen wir das Ziel, für Industrie- und Handelspartner ein möglichst großer Datenbündelungseffekt zu schaffen“, sagt Vetsch. 

Die Datenqualität sei das A und O bei den Produktinformationen. Fehler bei den B2C-Daten führen laut Vetsch dazu, dass der Kunde nicht richtig informiert wird. Dies wiederum sei nicht förderlich für die Produktpositionierung und könne zu Kundenreklamationen führen. Mit Hilfe der zentralen Aktualitäts- und Qualitätsprüfung trägt der Datenservice ZAS dazu bei, Unstimmigkeiten in den Daten zu erkennen. Die eingehenden Datensätze der Industriepartner werden automatisch auf Vollständigkeit und Plausibilität geprüft. Auch hier profitieren Industrie- und Handelspartner von einem Bündelungseffekt. „Unstimmigkeiten in den Daten werden dem Industriepartner nur von einer Stelle – dem ZAS – gemeldet und müssen nur einmalig für mehrere Handelspartner korrigiert oder ergänzt werden“, resümiert Vetsch abschließend. 

 

News

Foto: Stefanie Brückner

Vom 24. bis 25. April findet das 125. Markant Handelsforum statt. Zu erwarten sind neben zeitaktuellen Vorträgen und Innovationen für den POS auch ein praxisnaher Austausch.

Foto: Ben Pakalski

Tegut hat das Jahr 2023 mit einem Nettoumsatz von 1,28 Milliarden Euro abgeschlossen und damit das Ergebnis des Vorjahres um 2,44 Prozent übertroffen.

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Nach einem Einbruch zu Jahresbeginn stabilisiert sich die Konsumstimmung in Deutschland jetzt wieder.

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In Österreich können biologische Lebensmittel trotz allgemeiner Teuerungen auf treue Verbraucher zählen.

Statements

Experten-Stimmen zum neuen Lebensmittelrecht, von der Fachtagung der MARKANT Syntrade Schweiz AG am 12. Mai 2017 in Luzern.

 

Jos Lanen, Geschäftsführer MARKANT Syntrade Schweiz AG

„Die Digitalisierung spielt bei der konkreten Umsetzung des neuen Lebensmittelrechts eine entscheidende Rolle, denn angesichts der Sortimentsvielfalt und der gesetzlichen Vorschriften lassen sich die erforderlichen Produktdaten einfach nicht mehr manuell verarbeiten.“

Dr. Judith Deflorin, Leiterin des Fachbereichs Marktzutritt im Schweizer BLV

„Selbstkontrolle ist ein noch wichtigerer Grundpfeiler des neuen Lebensmittelrechts und gewinnt noch mehr an Bedeutung. Die Regelungen sind jetzt handfest, konkret und harmonisiert, Polemik und Gegenwind haben abgenommen. Das Gesetz wird inzwischen nicht mehr als Bürokratie-Monster dargestellt.“

Martina Stock, Beratungsgesellschaft für Umwelt- und Qualitätsmanagement

„Das neue Schweizer Lebensmittelrecht weist zwar keine hundertprozentige, aber eine hohe Deckungsgleichheit mit den Regelungen der Lebensmittelinformations-Verordnung (LMIV) der Europäischen Union auf.“

Experten über die Herausforderung Offenverkauf und Fernabsatz im Kontext des neuen Schweizer Gesetzes.

Julia Ommert, Food Compliance, AGU–Beratungsgesellschaft für Umwelt- und Qualitätsmanagement

„Beim Offenverkauf bringt das Gesetz keine tiefgreifenden Änderungen gegenüber den bisherigen Regelungen – die eigentlichen Herausforderungen für den Handel dagegen liegen in den neuen Informationspflichten beim Fernabsatz.“ 

Claudia Vetsch, MARKANT Syntrade Schweiz AG

„Die Datenqualität ist das A und O bei den Produktinformationen. Mit Hilfe der zentralen Aktualitäts- und Qualitätsprüfung trägt der Datenservice ZAS dazu bei, Unstimmigkeiten in den Daten zu erkennen. Diese müssen nur einmalig für die Handelspartner korrigiert oder ergänzt werden.“

Bernhard Delakowitz, Leiter Marketing und Zentrale Dienste Ware International, MARKANT AG
 
„Wir werden das Informationsangebot auf www.one-globe.info kontinuierlich vertiefen und alle relevanten Informationen zukünftig auch in französischer Sprache anbieten. Außerdem sind wir dabei, ein Monitoring-System zur Unterstützung unserer Partner beim Thema Risiko- und Qualitätsmanagement aufzubauen.“

 

Info

Digitaler Fingerprint

Vertreter von Industrie und Handel berichteten auf der Tagung der MARKANT Syntrade Schweiz AG über Aufwand und Ertrag bei der Bereitstellung zentraler digitaler Produktinformationen.

  • Teilnehmer: Thomas Gisler, Leiter Supply Chain in der HUG AG; Pius Koch, Leiter Business Intelligence bei der Rivella AG; Jean-Luc Schmutz, Leiter Qualitätssicherung bei der Pistor AG; Bernhard Schwendinger, Bereichsleiter Sortimentsmanagement bei der SPAR Management AG (siehe Bild Seite 10, v. l. n.r.) Steffi: bitte Reihenfolge überprüfen
  • Vorschriften: Erst die Lebensmittel-Informationsverordnung der Europäischen Union, jetzt das neue Schweizer Recht: Die Gesetzgeber „üben positiven Druck auf uns Hersteller aus, sehr ausführliche und immer aktuelle B2C-Daten bereitzustellen“, sind sich Thomas Gisler und Pius Koch einig.
  • Digitalisierung: Daten sind in unterschiedlichen Bereichen hinterlegt, sind unvollständig, müssen manuell aktualisiert werden. Daraus einen vollständigen digitalen Fingerprint für jedes einzelne Produkt zu entwickeln, bringt oft gigantischen Aufwand mit sich – „der sich allerdings lohnt, vom Markt gefordert wird und sich auch für den Hersteller auf Sicht durch Rationalisierungseffekte auszahlt“, so das Resümee der beiden Industrie-Vertreter. 
  • Konsumenten: Druck kommt auch von den Verbrauchern. Sie erwarten Transparenz, ernähren sich gesundheitsbewusst, leiden häufig unter allergischen Reaktionen, wollen daher detaillierte Produktinformationen. Diesen Druck gibt der Handel an die Hersteller weiter. „Wir benötigen enorme Datenmengen“, sagt Bernhard Schwendinger. „Wir verlangen schon seit zwei Jahren eine vollständige Big 7-Nährwertkennzeichnung“, berichtet Jean-Luc Schmutz.